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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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beschissenen Situation eine Chance gegeben. Ich habe ein paar Erkundigungen über Frau Ariane eingezogen, sehr diskret, und darum habe ich ihr, als sie zu mir kam, ebenfalls eine Chance geboten. Sie hätte sie ablehnen, der Herausforderung nicht gewachsen sein oder sie missbrauchen können, aber nichts
davon hat sie getan. Sie hat sich ihren Lohn weidlich verdient. Mal sehen, was sie draus macht.«
    Nona war sich sicher, dass Madame LouLou weit mehr wusste, als sie preiszugeben gewillt war, aber auch das akzeptierte sie. Sie musste es nicht wissen.
    Über diese Gedanken hin hatte sie die Obermarspforte erreicht und schlüpfte, wie es ihre Art war, über den Hinterhof ins Haus. Hilde hatte ihr Essen warm gestellt, und als sie nach oben zu ihrer Kammer huschte, klopfte sie vorher noch im Nähzimmer an, um Madame LouLous Grüße auszurichten.
    »Komm herein, Nona, und sag mir, was du von diesen Mustern hältst.«
    Nona stellte den Korb ab und trat zu dem Tisch, der mit einigen großen, karierten Bögen bedeckt war. Auf dreien waren mit spitzem Bleistift sich wiederholende Ornamente gezeichnet. Das eine bestand aus stilisierten Chrysanthemenblüten, die über ihre Stiele und Blätter verbunden eine fortlaufende Ranke bildeten, das andere zeigte Blüten und Schmetterlinge und das dritte durch Wolken fliegende Kraniche.
    »Sie sind schön, Madame.Toutes sont belles.«
    »Kannst du dir einen Stoff vorstellen mit diesen Mustern?«
    Nona überlegte ernsthaft.
    »Dies mit Vögeln werden die Damen nicht mögen. Zu spitzig, die Schnabel. Ich denke, ich würde es mögen.Vielleicht die Herren für Negligé?«
    »Damit liegst du wahrscheinlich richtig.«
    Nonas Blick fiel auf den Boden, und ein scheues Lächeln huschte über ihr Gesicht.
    »Es sind Bilder aus Teppich, richtig?«
    »Ertappt!«, lachte Madame Ariane. »Aber es wäre mal etwas anderes, eine chinesische gemusterte Seide.«
    »’türlisch!«
    »Na, wir werden sehen, was der Herr Fabrikant dazu sagt.«
    »Der Bruder von Madame LouLou, nicht wahr? Ich soll grüßen Sie von ihr.«

    »Danke. Passt das Trikot jetzt?«
    »Es sitzt. Und, Madame …«
    »Ja, Nona?«
    »Sie hat geschenkt mir einen Stoff.«
    »Das wollte sie tun, für ein Sonntagskleid, nicht wahr?«
    Nona nickte und legte das Paket auf einen Stuhl. Madame Ariane begutachtete den Barchent und nickte. »Daraus können wir etwas sehr Hübsches machen.«
     
    Zwei Tage später schon waren die Teile zugeschnitten und geheftet, Nona setzte sich mit großem Eifer in ihre Arbeitsecke und begann mit den Näharbeiten. Auch Madame Ariane stichelte eifrig an den Kleidern für die Blumenmädchen bei der Hochzeit. Sonnenlicht fiel durch das geöffnete Mansardenfenster auf ihre Finger. Ein Drehorgelspieler auf der Straße dudelte sein Repertoire an Gassenhauern herunter, ein Karren klapperte vorbei, ein paar Kinder lachten.
    Nona war glücklich. So glücklich, dass sie schon wieder ängstlich war. Die Freundlichkeit und Fürsorge, mit der man sie behandelte, die Rücksichtnahme, das feine Benehmen, in das sie mit eingeschlossen war, das war so anders als alles, was sie zuvor erlebt hatte. Es war ihr in den Schoß gefallen, ohne dass sie es sich verdient hatte, und darum kroch dann und wann die Angst in ihr hoch, dass sie alles wieder von einem Tag auf den anderen verlieren konnte.
    Madame Ariane war eine kluge Frau, schon am ersten Tag, als sie ihr das heiße Wannenbad vorbereitet hatte, hatte sie die hässliche Narbe an ihrem Bein gesehen. Sie hatte nicht gefragt, wie jeder andere es getan hätte, und damals war Nona ihr nur dankbar gewesen.
    Was würde sie tun, wenn sie die hässliche Wahrheit wüsste?
    Würde sie sie wieder auf die Straße schicken?
    Schon seit Tagen, vor allem in den Nächten, quälte sie sich damit herum. Und nun, in dieser beschaulichen Stimmung, dem hellen, heiteren Frühlingstag, wurde die Angst übermächtig. Ihre
Hände fingen an zu zittern, und sie musste die Nadel niederlegen, um keinen Fehler bei der Arbeit zu machen.
    »Nona, was ist los? Geht es dir nicht gut? Ist es zu warm hier drin?«
    Der Kloß in ihrer Kehle wurde dicker, sie fühlte Tränen in ihre Augen aufsteigen. Warum musste Madame das auch noch bemerken? Sie riss sich zusammen und murmelte: »Entschuldigung.« Dann stichelte sie weiter, aber ihre Hände wollten ihr nicht gehorchen. Sie fühlte Madame Arianes Augen fragend auf sich ruhen. Nicht ungehalten, sondern besorgt.
    »Machen wir eine Pause, Nona. Ich hole uns eine kühle

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