Goldener Bambus
Energie. Ich fühlte mich seltsam berührt.
Die Wolken hingen tief, und die Kiefern reckten ihre Kronen in den Himmel wie Bettler ihre Arme. Dick und ich folgten dem Pfad hinauf zur Spitze der Purpurberge. Ich hatte vor, ihn zu fragen, ob er Pearls Roman nicht doch veröffentlichen wollte. Doch als er sagte, für mich würde er alles tun, entschied ich mich dagegen. Ich wollte mich ihm gegenüber nicht verpflichtet fühlen.
Pearl verdiente Ehre, keine Barmherzigkeit, dachte ich.
Dick sagte, meine Nähe mache ihn nervös. Er machte mir Komplimente und schmeichelte mir. Ich wünschte, seine Worte kämen aus Hsu Chih-mos Mund, und ich fragte mich, wo Hsu Chih-mo gerade war und was er tat. Waren seine Gedanken von Pearl beherrscht? In den vergangenen Monaten hatte Hsu Chih-mo hin und wieder seine Frau in Shanghai besucht. Doch jedes Mal, wenn er nach Nanjing zurückkehrte, war er noch niedergeschlagener als zuvor. Wenn ich ihn nach seiner Frau fragte, sagte er: »Meine Frau lebt in ihrer Opiumhöhle. Sie sagt kein Wort, es sei denn, sie will Geld haben.«
Die Klatschblätter, die Hsu Chih-mo stets im Visier hatten, berichteten über die vielen Schulden seiner Frau. In den letzten Ausgaben war zu lesen, dass die ehemalige Kurtisane viel Zeit mit einem wohlhabenden Gönner verbrachte. Es hieß, dass Hsu Chih-mo und seine Frau sich wegen Geld und ihrer Drogensucht stritten. Ein anderes Blatt behauptete, Hsu Chih-mo wäre zu seiner ehemaligen Geliebten, der Architektin, zurückgekehrt. Die Öffentlichkeit verfolgte fasziniert das Drama.
»Du solltest dir allmählich überlegen, Hsu Chih-mo zum Geliebten zu nehmen«, sagte ich.
Erstaunt drehte Pearl sich zu mir um. »Du bist verrückt, Weide.«
»Warum nicht?«, fuhr ich fort. »Schließlich ist Lossing auch mit Lotos zusammen.«
»Nein«, sagte sie entschieden.
»Hsu Chih-mo …«
»Hör bitte auf, ja? Ich habe keine Lust, über Hsu Chih-mo zu diskutieren …«
»Aber ich.«
Sie sagte nichts.
Ich konnte nicht aufhören und hasste mich dafür.
»Ich bin nicht dumm, Weide«, hörte ich Pearl sagen. »Ich kann sehen …«
»Dann beantworte meine Frage.«
»Ich weiß aber nicht, wie. Dir ist ja wohl selbst bekannt, dass wir beide verheiratet sind. Offen gesagt, gefallen mir diese Art Witze nicht. Es … ist doch ein Witz, oder?«
»Was meinst du?«
»Das ist typisch chinesisch, dass du dieses grausame Spiel genießt. So vergisst du dein eigenes Leid. Aber funktioniert das wirklich? Leidest du heute weniger als gestern?«
»Du redest wie dein Vater im Pfarrergewand!«, erwiderte ich. »Du kannst die Wahrheit nicht ertragen.«
»Ich versuche, mich anständig zu verhalten. Ich bin deine Freundin.«
»Ich verfluche deine Anständigkeit!«
»Gut!« Sie stellte sich vor mich. »Du willst die Wahrheit wissen? Dann hör mir gut zu! Ja, Hsu Chih-mo und ich lieben uns! Und ja, wir werden miteinander ins Bett gehen, heute Abend!«
19 . Kapitel
I
ch nahm Dick Lins Angebot an, Herausgeberin seiner Zeitschrift zu werden. Und ich beschloss, für immer nach Shanghai zu gehen.
Pearl war am Boden zerstört.
Einen Monat vor meiner Abreise kam Hsu Chih-mo zu mir. Er flehte mich an, seine Beziehung mit Pearl zu retten. »Als sie von deiner Abreise erfahren hat, ist sie zusammengebrochen. Sie werde mich als Feind betrachten, sagte sie, wenn ich sie weiter besuche. Sie führt Krieg gegen mich.«
Ich wollte nicht mit Hsu Chih-mo reden. Ich hatte genug für ihn getan.
Irritiert sagte er: »Ich komme wieder, wenn du bessere Laune hast.«
Er ging, aber seinen Lobgesang über Pearl hatte ich noch lange im Ohr. »Pearl und ich sind Seelenverwandte!« »Noch nie habe ich ein Buch wie
Die Gute Erde
gelesen. Es ist ein Meisterwerk!« »Nur ein wahrer Menschenfreund kann ein guter Romanautor sein.« »Sie streitet ab, dass Liebe zwischen uns entstanden ist!«
Ich wusste, dass ich einen Strich unter meine Vergangenheit machen und mich von Nanjing verabschieden musste, um mich auf Shanghai und Dick Lin einlassen zu können. Doch die Schatten von Pearl Buck und Hsu Chih-mo folgten mir dicht auf den Fersen.
Dick versprach mir Unabhängigkeit. Er sei immer für mich da, wenn ich ihn brauchte.
»Sie kommen nach Shanghai«, schrieb er in seinen Briefen, »und nur das zählt.«
Er vertraute darauf, dass ich ihn eines Tages lieben würde.
Ich warnte ihn, dass ich ihn ausnutzen würde.
»Sie schulden mir nichts«, schrieb er zurück.
Dick erzählte mir, dass seit Gründung
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