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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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verheiratet seid? Oder weil ihr zu unterschiedlich seid?«
    »Ich weiß nur, dass ich verliebt in ihn bin und mir der gesunde Menschenverstand abhandengekommen ist.«
    »Hsu Chih-mo wird nicht lockerlassen.«
    »Er versteht die Verantwortung nicht, die ich trage – dass ich wegen Carol niemals frei sein kann. Sein Sohn ist im Alter von fünf Jahren gestorben. Er hat es geschafft, das Leid hinter sich zu lassen. Aber ich kann das nicht. Ich bin nicht wie er. Carol zuliebe muss ich bei Lossing bleiben … wegen des Geldes.«
    »Wirst du Hsu Chih-mo aufgeben?«
    »Habe ich eine Wahl?«
    »Deine Mutter hat immer gesagt, zu leben heißt gezwungen zu sein, Entscheidungen zu treffen.«
    Wir schwiegen. »Ich stehe da und sehe zu, wie mir das Leben entgleitet«, sagte sie.
     
    Die Luft duftete süß nach Sommerblüten. Ich war ans Flussufer gegangen, um mich von Nanjing zu verabschieden. Ich wusste, dass Hsu Chih-mo und Pearl im Schutz der Dunkelheit, im Schatten der Magnoliendächer durch die Straßen der Stadt spazierten. Pearl hatte mir erzählt, dass sie oft in ein Restaurant namens
Sieben Schätze
gingen, wo sie am liebsten die Chinkianger Nudelsuppe mit Pilzen aß.
    Lossing war mit Lotos weggezogen. Er hatte an einer Universität im Südwesten Chinas die Stelle als Leiter des Instituts für Agrarwissenschaften angenommen. So konnte Hsu Chih-mo Pearl jederzeit besuchen, wenn auch nur heimlich. Die Liebe, von der Pearl nicht lassen konnte, hatte sie wieder aufleben lassen. Sie veränderte sich, achtete mehr auf ihre Kleidung und nahm an einem Tanzkurs an der Universität teil. Zu Beginn des Frühlings pflückte sie zusammen mit Hsu Chih-mo frische Kamelien, was Hsu Chih-mo zu dem Gedicht »Die Kamelienblüten auf meinem Kissen« inspirierte.
    Die nie ruhende Gerüchteküche sorgte dafür, dass die Öffentlichkeit glaubte, Hsu Chih-mo wäre zu seiner früheren Geliebten zurückgekehrt. Die Zeitungen überboten sich mit Vorhersagen, was Hsu Chih-mo wohl als Nächstes tun würde.
     
    Ich war auf Pearls Bitte, sich von mir verabschieden zu können, nicht eingegangen.
    Für mich war alles gesagt, und ich hatte keine Lust, noch einmal Hsu Chih-mos Namen zu hören. In aller Stille verließ ich das Haus. Der Pier war voller Menschen. Ich bestieg das Dampfschiff und stand allein an der Reling. Als das Schiff ablegte, erlebte ich eine Überraschung.
    Pearl kam die Steintreppe hinunter zum Wasser gelaufen.
    Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie mich entdecken würde.
    Sie verlangsamte ihren Schritt und blieb schließlich stehen. Die Leute um sie herum winkten, jubelten und schrien.
    Dann entdeckte sie mich. Ihre Augen. Ich wusste, dass sie mich sah, denn sie stand vollkommen still da und blickte in meine Richtung. Sie trug ein indigofarbenes chinesisches Gewand und hatte das Haar zum Knoten gebunden. Im hellen Licht der Sonne sah sie aus wie Carie.
    Ich wünschte, ich hätte die Augen schließen können.
    Die Hafenarbeiter machten die Leinen los. Das Schiff setzte sich in Bewegung.
    »Auf Wiedersehen!«, riefen die Menschen auf dem Pier.
    Eine Frau rief ihrem Mann liebevoll zu: »He, du Idiot und bald Geköpfter. Vergiss nicht, mit dem Feuerholz sparsam zu sein, wenn du den Ofen anmachst!«
    Der Ehemann lachte und rief zurück: »He, dummes Faltengesicht, vergiss lieber nicht, wieder nach Hause zu kommen, sonst gebe ich deine ganzen Ersparnisse für eine Konkubine aus!«
    Ich weinte, wünschte, Pearl in den Armen zu halten. Mit meinem Weggehen wollte ich nur meinem eigenen Unglück entkommen, aber hatte am Ende auch sie bestraft.
    Durch meine Abreise würde das, was einmal zwischen uns gewesen war, für immer bestehen bleiben. Das hoffte ich.
    Doch konnte ich wirklich weggehen?
    Der Abstand zum Hafen wurde größer. Im Wettstreit miteinander schrien sich die Menschen lustige Beleidigungen zu.
    Dann hörte ich Pearl in Chinkianger Tonfall rufen: »Ich bin kein Vogel, sondern eine Schnake – zu klein, dass du mich mit einem Gewehr erschießen kannst!«
    Da wusste ich, sie hatte mir vergeben, und schrie zurück: »Sei vorsichtig, wenn du glaubst, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Pass auf deinen schönen Hahn auf und wundere dich nicht, wenn ihm eines Tages Zähne wachsen!«
    »Dann schlag doch ein Rad auf dem Rücken eines Stiers! Ich bin eine treue Bewunderin!«
    »Klar, der Fuchs kommt und weint bei der Beerdigung des Huhns. Verschwinde!«

20 . Kapitel
    I
ch war nicht sicher, ob jemand an meiner oder der Tür des

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