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Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
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gebrauchen könnte.«
    »Aber warum weist du ihn ständig zurück?«
    Sie schloss den Wok mit einem Deckel und wandte sich mir zu. »Meine Gefühle für ihn verwirren mich.« Sie hielt kurz inne und fuhr dann fort. »Er gibt mir Selbstvertrauen und beflügelt meine Kreativität, aber … ich habe gleichzeitig große Angst.«
    »Verliebst du dich gerade in Hsu Chih-mo?« Ich sah ihr fest in die Augen.
    »Ich habe das Gefühl, jeden Moment einen Abhang hinabstürzen zu können.«
    »Ja oder nein?«
    »Weide, bitte.«
    »Findest du nicht, dass du mir zumindest eine klare Antwort schuldest?« Ich wurde laut und konnte nichts dagegen tun. »Ich bin nicht so blind und taub, wie du glaubst. Die Atmosphäre zwischen euch vergiftet mich. Ich bin eine starke Frau, die ihre Krisen bewältigt. Ich bin ehrlich zu mir selbst und habe den Mut, meine Träume zu verfolgen. Doch leider kann ich keinen Mann dazu zwingen, mich zu lieben. Dank Gott bin ich mit allem gesegnet, nur nicht mit der Liebe eines Mannes. Eines ist klar: Solange du da bist, habe ich bei Hsu Chih-mo keine Chance. Was soll ich sagen? Pech gehabt? Oder lieber, auch gut, wenn ich ihn schon nicht haben kann, dann wenigstens meine beste Freundin? Ganz ehrlich, so groß ist mein Herz nicht.«
    »Was soll ich denn tun?«, fragte Pearl bedrückt.
    »Du sollst aufhören, mich anzulügen!«
    »Weide, ich habe dich nicht angelogen, noch nie, und ich werde es niemals tun.«
    »Das ist doch Quatsch! Du sagst: ›Meine Gefühle für ihn verwirren mich‹, aber stimmt das wirklich? Du weißt genau, was los ist! Du weißt, dass du in Hsu Chih-mo verliebt bist. Du weißt, dass du nicht vor ihm weglaufen kannst, obwohl du es wie ein Kaninchen vor dem Waldbrand immer wieder versuchst.«
    »Also gut, ich habe gesündigt. Wie kann ich es wiedergutmachen?«
    »Gib die Wahrheit zu. Kannst du nicht sehen, dass ich eine Schulter brauche, an der ich mich ausweinen kann?«
     
    Ich akzeptierte Dick Lins Einladung zum Tee. An einem warmen Herbstnachmittag trafen wir uns in einem kleinen Teehaus am Fuße der Purpurberge. Ich trug meine blaue Jacke und einen schwarzen Seidenschal.
    Dick hatte ein Jackett ohne Kragen an, wie es in Frankreich Mode war, und eine dazu passende Mütze auf. Wir saßen kaum, da fing er an, über sich zu reden.
    »Ich war noch keine fünf, als ich schon mit meinen Eltern auf dem Feld arbeitete«, begann er. »Mein Vater war ein armer Bauer, aber fest entschlossen, mich zur Schule zu schicken. Wie andere Jungen aus dem Dorf ging ich nackt in den Unterricht. Die neue Lehrerin kam aus der Stadt und hatte nicht erwartet, entblößte Affenärsche zu sehen. Als sie das Klassenzimmer betrat, fing sie an zu schreien.«
    Dick war sehr selbstbewusst und verlangte die volle Aufmerksamkeit seiner Zuhörer.
    Während er ohne Punkt und Komma sprach, studierte ich sein Gesicht, das seltsam harmonisch war: Die Eidechsenaugen passten gut zu seiner krummen Nase, der schmallippige Mund passte zum kleinen Kinn. Obwohl ich ihn anfangs nicht leiden konnte, begann ich ihn zu mögen, seine Offenheit, seinen kindlichen Enthusiasmus und ganz besonders seinen Willen, an Träume zu glauben.
    »Nachdem ich meinem Dorf entkommen war, fing ich an zu reisen«, fuhr Dick fort. »Mein Vater hatte mich gejagt und verprügelt und einmal sogar versucht, mich im Fluss zu ertränken. Ich bin als Arbeitsstudent nach Übersee gegangen und habe drei Jahre in Frankreich gelebt. Tagsüber habe ich gearbeitet, und abends bin ich in die Schule gegangen. In Paris habe ich den Kommunismus hautnah erlebt.«
    Dick lachte und hielt inne, um mich zu betrachten.
    Ich versuchte, aufmerksam zu sein, doch ich hatte einen langen Tag hinter mir, und meine Gedanken wanderten immer wieder ab. Trotzdem nickte ich und fragte: »Aus welchem Grund sind Sie zurück nach China gekommen?«
    »Meine Familie habe ich nicht vermisst, aber mein Land schon«, erzählte er. »Ich war zweiundzwanzig Jahre alt und fest davon überzeugt, dass ich helfen kann, die Welt zu verändern und etwas gegen die Ungleichheit zwischen Arm und Reich zu tun …«
    Obwohl Dick nicht Hsu Chih-mos Anmut besaß, nahm er mich doch langsam für sich ein.
    »Ich hätte schweigen können und so tun, als beträfe mich das alles nicht.« Er sah mich erwartungsvoll an. »Ich hätte mich wie ein alter Weiser gebärden und in die Berge zurückziehen können. Doch ich beschloss, ein Ziel im Leben zu haben und für das Volk zu kämpfen.«
    Seine Stimme war voller

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