Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldener Bambus

Goldener Bambus

Titel: Goldener Bambus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anchee Min
Vom Netzwerk:
Genosse oder Feind. Mit acht wusste sie, wer sie war und was sie in ihrem Leben erreichen wollte. Sie verehrte Mao und wollte die Armen befreien.
    Als Dick unserer zehn Jahre alten Tochter erzählte, Kommunisten und Christen seien Feinde, war ich entrüstet.
    »Nicht alle Christen glauben, dass China so lange ein böses Land ist, bis es Gott anerkennt«, erklärte ich ihr. »Pearl Buck zum Beispiel ist Christin und kritisiert die schlimmsten Auswüchse des Christentums.« Als Beweis las ich ihr einen Essay vor, den Pearl vor ein paar Jahren im
Southeast Asia Missionary Magazine
veröffentlicht hatte. In dem Essay wies Pearl darauf hin, dass sie bei manchen Missionaren das Mitgefühl für die Einheimischen vermisse. »Sie sind so voller Verachtung für jede Kultur außer der eigenen, so vernichtend in ihrem Urteil anderer, so grob und unsensibel inmitten sensibler und kultivierter Menschen, dass mir das Herz vor Scham blutet.«
    Dick war überrascht. »Absaloms Tochter hat das geschrieben?«
    Ich nickte.
    »Das hätte ich nicht gedacht«, gab er zu.
    »Wenn doch auch Mao ein wenig aufgeschlossener wäre und –«
    Dick schnitt mir das Wort ab und flüsterte. »Meine liebe Frau, du bist nicht in Shanghai oder Nanjing. Vergiss nicht, ich habe Rivalen. Eifersüchtige Herzen können töten. Erinnere dich an deinen Shakespeare!«
    Dick glaubte, Mao wäre entspannter und würde größere Freiheiten erlauben, wenn er sich seiner Macht gewiss sein könnte.
    »Vorläufig müssen wir zusammenhalten, um zu überleben.« Dick wandte sich an Rouge. »Keine Kritik mehr am Kommunismus, denn sie gilt als illoyal und verräterisch.«
    Rouge machte große Augen und nickte ernst. »Baba hat recht und Mama unrecht«, sagte sie.
    »Und wie ist das mit deinem Namen, Dick?«, fragte ich provozierend. »Der klingt jedenfalls nicht proletarisch.«
    »Die Genossen wissen, dass Dick mein Arbeitsname ist.« Mein Ehemann lächelte.
    »Was meinst du mit Arbeitsname? Hast du noch einen anderen?«
    »Ja.«
    Ich lachte. »Und warum kenne ich den nicht? Ich bin immerhin deine Frau.«
    »So ist eben das Leben eines Kommunisten.« Dick streckte die Arme aus und rollte den Kopf von einer Seite zur anderen, um den Nacken zu dehnen.
    »Was ist dein wirklicher Name, Baba?«, fragte Rouge neugierig.
    »Nun, wir nennen es den Arbeitsnamen oder jetzigen Namen.«
    »Und wie lautet dein jetziger Name?«, fragte ich.
    »Xinhua.«
    »Xinhua? Neues China?« Ich lachte. »Ich glaube, Altes China würde besser zu dir passen. Deine Vorfahren waren Gelehrte, Landbesitzer und Kapitalisten! Du hast im College Shakespeare und Konfuzius studiert. In deinem Blut ist das Alte China! Du hast westliche Freunde, und du sprichst Englisch!«
    »Kein Kommentar.« Dick war betroffen.
     
    Den wenigen Briefen, die mich erreichten, entnahm ich, dass es Pearl in Amerika recht gutging. Trotz der dort herrschenden Wirtschaftsdepression wurden ihre Bücher veröffentlicht und verkauften sich gut. 1932 erhielt sie für
Die gute Erde
den Pulitzerpreis, 1938 den Nobelpreis für Literatur. In ihren Briefen erwähnte sie die Preise nur nebenbei, im gleichen Ton, wie sie ihrer Bewunderung für die sanitären Einrichtungen in Amerika Ausdruck verlieh. Erst viele Jahre später entdeckte ich, dass Pearl eine international berühmte Persönlichkeit geworden war. Sie selbst schrieb nie, wie gewichtig diese Auszeichnungen waren. Ihre Fragen betrafen hauptsächlich meine Tochter Rouge. Pearl wollte wissen, wie ihr Leben verlief und ob sie Freunde hatte. Sie schrieb, erst jetzt würde ihr das große Glück bewusst, dass wir in unserer Kindheit Spielkameraden gewesen waren.
    Ich hätte Pearl gern von meiner Tochter berichtet, wollte ihr aber nicht vor Augen führen, was ihr mit Carol nicht vergönnt war. Deshalb fragte ich sie lieber nach ihrer Schreibmethode. Sie erwiderte, ihr Trick sei es, wie ein chinesischer Bauer zu denken. »Bevor er mit der Aussaat beginnt, weiß er genau, was, wo und wie viel er säen will und hat das Budget für Samen, Dünger, Tiere und Feldarbeiter festgelegt«, schrieb sie. »Mit anderen Worten, ich versuche, mein Material optimal zu nutzen.«
    Was ihre Tochter betraf, so hatten die amerikanischen Ärzte die frühere Diagnose bestätigt. Carol würde nie ein normales Leben führen. Obwohl das nicht überraschend kam, klangen Pearls Worte immer noch tief verzweifelt. »Dieses Urteil machte alles Glück zunichte, das mir sonst vielleicht mein Erfolg beschert hätte«,

Weitere Kostenlose Bücher