Goldener Bambus
Wind bläst
Dreißigtausend Morgen Jadelicht
Ein Tupfen mein blattförmiges Boot
Der Himmel überflutet vom klaren Strahl des Mondes
Die Wasseroberfläche mit Mondschein gepflastert
Trinken wir Wein aus dem Westfluss
Nehmen die Sterne als Glas
Das Glück teilen mit dir, mein Freund
Keine Reden mehr vom verbitterten Dichter Lu You
Leuchtende Helligkeit über uns
Leuchtende Helligkeit unter uns
Während das Leben in den Höhlen von Yan’an für die meisten Einwohner sehr hart war, lebten Dick und ich wie Könige. Unsere Höhle gehörte zu den besten, mit zwei nach Süden gelegenen Räumen, von der Sonne gewärmt. Einmal die Woche hatten wir Fleisch, während alle anderen die Blätter von Yamswurzeln und Hirse aßen. Zuerst genoss ich den Luxus und Dicks neue Stellung. Rund um die Uhr kamen Leute, um von ihm Anweisungen zu erhalten. Doch schon bald missfiel mir das ständige Kommen und Gehen, da es den Schlaf störte. Auch konnte ich bei Kerzenlicht kaum lesen und schreiben. Dicks Augen waren so schlecht, dass er starke Brillengläser brauchte, durch die seine Pupillen groß wie Mungobohnen wirkten. Wenn er die Brille nachts absetzte, wirkten seine Augen wie Taubeneier, die aus den Augenhöhlen quollen.
Dick waren seine Augen egal. Er wollte, dass ich mehr Rücksicht auf die politischen Empfindlichkeiten seiner Genossen nahm, und bat mich, meine bourgeoisen Gewohnheiten besser zu verbergen. Zum Beispiel meinen Wunsch nach Privatsphäre.
»Es ist lächerlich, die Privatsphäre oder eine elementare Hygiene und die Liebe zur Natur als bourgeoise Gewohnheiten zu bezeichnen«, protestierte ich.
Richtigen Streit gab es dann bei der Namenssuche für unsere Tochter. Er wollte sie Neue Kunst nennen. Mit neu meinte er proletarische Kunst, denn seine Aufgabe war es, proletarische Kunst für Mao zu schaffen.
Dick beschloss, über unsere Auseinandersetzung mit Mao zu sprechen, der drei Höhlen weiter unten am Hang wohnte.
Mao war zwar gerade dabei, die Französische Revolution zu studieren, empfing uns aber freundlich. Als wir ihn nach seiner Meinung wegen des Namens für unsere Tochter fragten, fand er keinen unserer Vorschläge gut. Mit Pinsel und roter Tinte schrieb er seine Idee auf: Rouge Lin.
So wurde Rouge Lin der offizielle Name unserer Tochter.
Ich mochte den Namen nicht. Mir hatten Friede und Beschaulichkeit vorgeschwebt. Auf Chinesisch bedeutet
Rouge
Revolution, was mit Gewalt und Blut zu tun hat.
»Damit kämpfen wir, mit unserem Blut!«, zitierte Dick Mao. »Alle Eltern, die in Yan’an wohnen, geben ihren Kindern Namen der Revolution: Rote Basis, Yan’an, Glänzende Zukunft und Maos Soldat. Unsere nächste Generation muss die rote Fahne und den Kommunismus weiter tragen, bis …«
»Was?«
»Bis die Welt Rouge ist – in Revolution.«
Das harte Leben in Yan’an konnte ich akzeptieren, aber nicht die Gehirnwäsche. Ich durfte nicht einmal das Wort
Gott
aussprechen. Dick tat alles, um zu verheimlichen, dass ich Christin war.
»Es könnte mich meine Arbeit kosten – oder schlimmer noch, mein Leben –, wenn du nicht vorsichtig bist«, warnte er mich. Ich musste ihm versprechen, niemals zu erwähnen, dass ich Ausländer wie Pearl und ihre Familie kannte. »In Yan’an ist es wichtiger, was man einmal war, als was man jetzt ist«, sagte Dick. »Man muss rein sein, um Vertrauen zu genießen.«
Im Kindergarten wurde meine Tochter Genossin Rouge Lin genannt. Wie alle Kleinkinder trug sie eine graue, schlecht sitzende Baumwolluniform. Als sie da herausgewachsen war, wurde die Uniform an ein jüngeres Kind weitergereicht. Rouge konnte kaum laufen, da wurden ihr Kampftechniken beigebracht. Der erste Satz, den sie sagte, war: »Ich bin eine tapfere Soldatin.« Mit zwei Jahren konnte sie »Mein Bruder der Roten Armee kommt zurück« singen. Sie hatte kein Interesse, »Stille Nacht« zu lernen, fand mich seltsam und stand ihrem Vater näher. Im Alter von vier Jahren zitierte sie Karl Marx’ berühmten Ausspruch: »Der Kapitalismus ist ein gefräßiges Ungeheuer« und gewann so einen Wettbewerb.
Obwohl ich Rouge von meiner eigenen Kindheit erzählte und sie wusste, dass Pearl Buck meine beste Freundin war, kannte sie keine Ausländer und bekam niemals Menschen zu Gesicht, die anders aussahen als sie selbst. Alle in der Roten Basis trugen die gleiche Kleidung und hatten sogar den gleichen Haarschnitt. Es gab nur die Revolution und sonst nichts. Rouges Welt war rot und weiß, man war entweder
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