Goldener Bambus
Gatten.
Als der Bauer den Mund aufmachte, klappte den Zuhörern die Kinnlade herunter. Li klang wie ein weinender Ziegenbock.
Mao blieb sitzen, denn er vertraute den magischen Fähigkeiten seiner Frau.
Nachdem Li die Bühne verlassen hatte, präsentierte Madame Mao ihre Version von »Der Osten ist rot«, vom Yan’an-Repertoirechor vorgetragen und von Madame Mao persönlich dirigiert:
Der Osten ist rot
Die Sonne geht auf
China hat Mao Zedong hervorgebracht
Er plant Glück für das Volk
Er ist der große Erlöser des Volkes
Von Li You-yuan stammte nur die erste Zeile des Liedes, die Rote Basis und den Führer Mao kannte er gar nicht. Li You-yuan hatte gerade sein Feld gepflügt und dabei die Melodie gesungen, als Dick zufällig vorbeigekommen war. In weiser Voraussicht, dass das Lied einmal nützlich sein könnte, hatte Dick Madame Mao auf Li aufmerksam gemacht.
Als Demonstration seiner Bescheidenheit lehnte Mao den Vorschlag Madame Maos ab, das Lied in die Liste der »unbedingt zu lernenden Lieder« der Truppen aufzunehmen.
Doch Madame Mao beharrte darauf, dass es der Wunsch des Volkes sei, Mao als die aufgehende Sonne Chinas zu betrachten.
Madame Mao bat Dick, mir eine Botschaft zu überbringen: Sie kritisierte mich, arrogant zu sein. Dick zuliebe versuchte ich, meine Empörung zu verbergen.
Madame Mao ahnte nicht, dass ich einiges über ihre Vergangenheit wusste. Bevor sie nach Yan’an kam, war sie eine drittklassige Filmschauspielerin in Shanghai gewesen und hatte eine Affäre mit einem Zeitungsreporter gehabt, einem Freund von Dick. In der Roten Basis war Madame Maos Vergangenheit ein Fleck auf der makellosen weißen Weste. Um ihn zu entfernen, führte sie sich auf wie eine leidenschaftliche Revolutionärin. Sie lud mich ein, einer Demonstration ihrer neu erworbenen Fähigkeit beizuwohnen – aus Rohbaumwolle Garn herzustellen.
Madame Mao verlangte, dass ich wie sie Garn spinne, anstatt Zeit mit meiner Tochter zu verbringen. So saß ich neben ihr und fühlte mich elend. Während sie das Rad drehte, trug sie die Phrasen ihres Gatten vor. »Wir werden die Bauern nie verstehen, wenn wir unsere Hände nicht in Stallmist graben, Garn aus Rohbaumwolle spinnen und auf den Feldern schwitzen. Wir werden uns erst dann als Mitglied des Proletariats bezeichnen können, wenn wir nach Kuhmist und Knoblauch riechen anstatt nach Parfüm.«
Ich tat etwas hinter Dicks Rücken: Ich bestach den Postboten der Basis, der als Händler zwischen Yan’an und Shanghai hin und her reiste. Er schmuggelte meine Briefe nach Shanghai und schickte sie von dort aus an Pearl in Amerika, mit einer Geheimadresse als Absender. In meinen Briefen berichtete ich ihr von den christlichen Geschichten, die ich Rouge erzählte, und wie glücklich es mich machte, dass meine Tochter »Amazing Grace« ins Herz geschlossen hatte.
Der Brief, den ich von ihr erhielt, war wie ein Regentropfen inmitten einer Dürrezeit. Er tröstete und beruhigte mich, denn ich hatte hier keine Freundin. Pearl schrieb, dass sie die ganze Welt bereist und viel Zeit in Indien, Südostasien und Japan verbracht hatte. Der Satz, dass sie »es kaum erwarten könne, nach China zurückzukehren«, trieb mir Freudentränen in die Augen.
26 . Kapitel
A
ls Mao gegen den Rat von Stalin 1948 den Jangtse überquerte, um Chiang Kai-shek zu verfolgen, sagte Dick, dass China bald kommunistisch sein würde. Seine Prophezeiung wurde 1949 Realität. Das Volk hatte zwölf Jahre lang gelitten: acht Jahre im Krieg gegen Japan und vier Jahre im Bürgerkrieg. Es fiel schwer zu glauben, dass die Auseinandersetzungen vorbei waren. Russische und amerikanische Berater mussten zugeben, dass sie sich geirrt hatten. Mao fand, dass es nur einen Löwen auf dem Berg geben sollte. Er würde die Macht niemals mit Chiang Kai-shek teilen.
Als seine Hauptstadt Nanjing fiel, floh Chiang Kai-shek nach Taiwan. Wenn die amerikanischen Streitkräfte nicht auf der Insel gewesen wären, hätte Mao ihn weiterhin gejagt, um ihn gefangen zu nehmen. Doch Mao war vorsichtig und wollte sich nicht verausgaben. Er rief die Volksrepublik China aus und beanspruchte deren Führung.
Ich musste sofort alles zusammenpacken und nach Norden ziehen. Rouge war ganz aufgeregt. Sie war fünfzehn Jahre alt und hatte noch nie einen Fuß außerhalb Yan’ans gesetzt. Im Jahr zuvor war sie der Kommunistischen Jugendliga beigetreten und arbeitete als Grenzberichterstatterin für das
Yan’an Tageblatt
. Sie hatte mehrere
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