Goldener Bambus
gegen die Japaner zu kämpfen, und waren über Nacht als Feinde gebrandmarkt worden, verhaftet, denunziert und ermordet.
Dick sagte, meine christlichen Werte hätten mich verdorben. Ich erwiderte, er sei verdorben, nicht ich. Dick weigerte sich, Maos Fehler zu sehen und die Tatsache, dass er ein Tyrann geworden war. Die Hälfte von Dicks Freunden wurde inhaftiert und verhört und ein Drittel als Verräter hingerichtet.
»Wie kannst du nachts noch schlafen?«, fragte ich meinen Mann.
Dick wollte, dass ich Madame Maos Freundschaft suchte. »Sie ist eine bessere Wahl als Pearl Buck«, behauptete er.
Doch ich bemühte mich vergeblich, Madame Maos Sympathie zu gewinnen. Sie war das Gegenteil von Pearl, voreingenommen und rechthaberisch. Mit einem guten Aussehen gesegnet, war sie eitel, anmaßend und egoistisch. Als ehemalige Schauspielerin konnte sie sich gut in Szene setzen, bezeichnete sich als »demütige Schülerin des Vorsitzenden Mao« und war stolz, seine Trophäe zu sein. Sie fand nichts dabei, mit ihrem »Kapital« zu wuchern.
Ihre Haut wurde nicht kartoffelbraun von der Wüstensonne und dem rauen Wind, wie bei uns anderen, und ihre Augenbrauen waren dünn wie die Fühler einer Garnele. Sie und Mao bildeten ein perfektes Paar – beide strebten nach Macht und Ruhm. Madame Mao sagte gerne, sie sei ein Pfau unter Hühnern. Mit Hühnern meinte sie die Frauen von Yan’an, also auch mich.
Doch am meisten enttäuschte mich, dass Mao nicht der Held war, als den ich ihn mir erhofft hatte. In Verkleidung eines Gelehrten verkaufte er den Menschen Zuversicht. Wenn er zu den Bauernsoldaten sprach, erkannten diese sich in seinen Worten wieder.
Ich beobachtete Maos Augen, wenn er sprach. Selbst wenn er grässliche Dinge sagte, schienen sie zu lächeln. Mao hatte eine hohe Stirn, ein plattes Gesicht und einen weiblichen Mund. Wenn er mit jemandem redete, sah er ihm nie in die Augen. Mao wollte, dass die Menschen ihn betrachteten. Nicht einmal habe ich gehört, dass er eine Frage rundheraus beantwortete, obwohl er das von anderen erwartete. Mao war ein Meister darin, um den heißen Brei herumzureden. Er sagte sogar selbst, dass es ihm gefiele, den Feind zu überraschen, sei es in einer Unterhaltung oder auf dem Schlachtfeld.
Im inneren Zirkel erwies sich Dick als Maos bester Gesprächspartner. Er und Mao sprachen oft bis tief in die Nacht miteinander. »Jeder von uns genießt den scharfen Verstand des anderen«, erklärte mir Dick. Doch eine wichtige Lektion lernte er nicht: dass Mao ungern verlor.
Noch hatte Dick nicht gemerkt, dass Mao die absolute Macht anstrebte, obwohl er nach außen hin das Gegenteil demonstrierte. Gegenüber ausländischen Journalisten sagte Mao immer und immer wieder, dass es sein Traum sei, »ein Lehrer« zu sein. Gespräche begann er stets mit einem chinesischen Gedicht und beendete sie mit einem Zitat von Marx oder Lenin. Es fiel ihm leicht, die Menschen in seinen Bann zu ziehen. Sein breitgefächertes Wissen und sein beißender Humor waren entwaffnend. Einmal half Dick Mao, ein Telegramm an die Front aufzusetzen, und war schockiert, als dieser es mit dem Satz eines Gedichts abschließen wollte: »Nur Fliegen haben Angst vor dem Winter, sollen sie also frieren und sterben.«
Später erzählte mir Dick, dass Mao, wenn er während einer Schlacht nicht wusste, was für Anweisungen er geben oder wie es weitergehen sollte, seinen Generälen Gedichte telegrafierte. Diese waren darüber so verwirrt, dass sie keine andere Wahl hatten, als selbst zu entscheiden, ob sie angreifen oder sich zurückziehen sollten.
»So brillant ist Mao«, bemerkte Dick voller Bewunderung.
Dick stellte den in Yan’an lebenden Sänger, der das Lied »Der Osten ist rot« geschrieben hatte, Madame Mao vor. Nie hätte er gedacht, dass das Lied einmal Chinas inoffizielle Nationalhymne würde.
Ich hörte mir »Der Osten ist rot« auf einer Wochenendparty für hochrangige Beamte an. Madame Mao stellte den Sänger mit dem Namen Li You-yuan vor, einen zerlumpten Bauern mit einem schmutzigen Handtuch um der Stirn. Er war Mitte vierzig, und ihm fehlten drei Vorderzähne. Dick hatte seine Herkunft überprüft und herausgefunden, dass er kein hundertprozentiger Proletarier war, denn seine Familie besaß einen halben Acker Land.
Als Dick Madame Mao davon Bericht erstattete, sagte sie: »Wenn ich sage, Li ist ein Bauer, ist er ein Bauer.«
Das Lied »Der Osten ist rot« war Madame Maos Geburtstagsgeschenk für ihren
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