Goldener Reiter: Roman (German Edition)
gebückt durch den Garten. Sie schaut sich das Gras an. Sie hat ihren Morgenmantel an und ein Nachthemd darunter. Meine Mutter hat ihren Morgenmantel an. Der Morgenmantel ist aus blauem Samt. Blau ist meine Lieblingsfarbe. Das Nachthemd unter dem Morgenmantel ist weiß mit kleinen blauen Blumen. Wenn ich morgens zum Frühstück in die Küche komme, sitzt sie da in ihrem Morgenmantel und raucht Zigaretten. Mitten in der Nacht steht sie auf und geht in die Küche und raucht Zigaretten. Ich rieche den Rauch bis in mein Zimmer. Ich sitze in meinem Bett. Ich höre, wie sie singt und spricht in der Küche.
In der Nacht hat es geregnet und das Gras sieht sehr grün aus. Meine Mutter dreht zwei Stöcke in den Rasen. Die Stöcke sind ein paar Meter auseinander, dort, wo der Garten des Nachbarn beginnt. Früher war da einmal eine Tanne an der Grenze zum Nachbarn. Früher waren es zwei Gärten, aber dann hat der Nachbar die Tanne gefällt und einen Garten daraus gemacht, damit es größer aussieht. Meine Mutter knotet eine Wäscheleine um den einen Stock. Meine Mutter spannt die Wäscheleine zwischen den Stöcken. Sie strengt sich an, das sieht man.
Sie kommt ins Haus zurück. Ihr Gesicht ist rot.
Was soll das?, frage ich. Ich bin hinuntergegangen. Meine Mutter steht im Wohnzimmer am Fenster und schaut mich an.
Wir brauchen einen Zaun, sagt sie.
Warum?, frage ich. Was soll das?
Der Nachbar beobachtet uns, sagt meine Mutter. Er beobachtet uns und geht durch unseren Garten, nachts. Gestern hat er eine Puppe in den Kirschbaum gehängt.
Was für eine Puppe denn?, frage ich. Meine Mutter dreht sich zum Fenster um. Sie steht da und die Arme hängen an ihrem Körper herunter.
Ich weiß es nicht, sagt sie.
Ich schaue aus dem Fenster und denke daran, dass der Nachbar eine Figur aus Ton auf der Fensterbank stehen hat. Es ist ein spanischer Stierkämpfer mit einem roten Tuch in der Hand, mit dem er den Stier wütend macht. Der Nachbar hat den Stierkämpfer aus dem Urlaub mitgebracht. Ich stelle mir vor, wie er nachts in unseren Garten schleicht und eine Puppe in den Kirschbaum hängt.
Das glaube ich nicht, sage ich.
Er beobachtet uns, sagt meine Mutter.
23
Es klingelt. Meine Mutter macht die Tür auf. Joni, ruft sie.
Es ist für mich. Wahrscheinlich Mark, der mit mir Fahrrad fahren will. Ich klappe das Heft zu, in dem ich gelesen habe. Ich gehe die Treppe runter. Es ist nicht Mark. René steht vor der Tür. Was will denn René von mir?
Kommst du mit raus?, fragt René. Meine Mutter ist ins Wohnzimmer gegangen.
Was willst du denn machen?, frage ich.
Einfach nur so rumgehen, sagt René.
Einfach nur so rumgehen.
Okay, sage ich. Ich ziehe meine Schuhe und meine Jacke an. Okay. Wohin willst du denn gehen?, frage ich. Es hat geregnet. Überall sind Pfützen, über die man springen muss. Ich habe meine Turnschuhe an.
Muss man denn immer ein Ziel haben?, fragt René.
Das weiß ich nicht, sage ich. Ich habe meistens eine Ahnung, wo ich hinwill, wenn ich rausgehe, aber das sage ich nicht. Nur wenn ich mich sehr langweile, weiß ich nicht, wo ich hingehen soll. Aber bei René ist das etwas anderes. René ist schon älter. Ein Jahr. Und er ist größer und war mit seinen Eltern ein halbes Jahr in Afrika und musste deshalb die Klasse wiederholen. René hat auch schon etwas mit Mädchen gehabt, glaube ich, so richtig.
Wir könnten ins Einkaufszentrum gehen, sagt René.
Ich frage mich, was wir da machen sollen, im Einkaufszentrum. Was soll denn da so toll dran sein, ins Einkaufszentrum zu gehen? Ich bin oft da, sagt René. Ich hänge da rum. Ach so.
Wie war denn das so in Afrika?, frage ich, weil man irgendetwas sagen muss, wenn man nebeneinanderher geht. Ich kenne René noch nicht richtig, René ist viel größer als ich. Da kann man nicht einfach so miteinander herumgehen, ohne etwas zu sagen.
Scheiße, sagt René. Alles Neger in Afrika.
Hm, mache ich. Wir gehen über die Autobahnbrücke.
Weißt du, was wir machen?, fragt René. Ich schüttel den Kopf.
Bist du schon mal in Scheiße getreten?, fragt er.
Klar, sage ich. Das passiert jedem.
René zeigt auf einen Hundehaufen vor uns auf dem Weg.
Ich muss daran denken, wie ich einmal beim Versteckspielen im Gebüsch in Hundescheiße gefasst habe, als ich klein war. Die ganze Hand voll Hundescheiße. Da hatte ich vielleicht noch Lust, weiter Verstecken zu spielen. Hundescheiße ist eines der fiesesten Dinge, die es überhaupt gibt. Vor allem an der Hand.
René guckt die
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