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Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Titel: Goldener Reiter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weins
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in einer Reihe auf der Bank. Sie reden nicht miteinander. Sie starren.
     
    60
    Na, beißen sie?, fragt der Mann. Er guckt in unseren Eimer.
    Bisher nicht, sagt Dirk. Der Mann lacht.
    Wundert mich nicht, sagt er.
    Dirk spießt gerade eine Made auf den Haken. An die Haken kommen weiße Maden. Die Maden krümmen sich, wenn man sie aufspießt. Weiße Flüssigkeit quillt aus ihnen heraus. Am Anfang musste Dirk mir die Maden aufspießen. Wenn ich ein Fisch wäre, würde ich auch nicht anbeißen. Das wäre mir zu eklig. Wenn ich ein Fisch wäre, würde ich aber auch nicht in diesem Kanal leben.
    Gibt es hier überhaupt Fische drin?, frage ich.
    Klar, sagt Dirk. Der Mann ist weitergegangen.
    Dirk muss es wissen. Dirk ist der Angler. Ich bin bloß ein Mitmach-Angler. Was sind denn das für Fische, die wir fangen?, frage ich.
    Keine Ahnung, wie die heißen, sagt Dirk. Er legt das Kinn auf sein Knie. Die Angel hält er in einer Hand. Das sieht gut aus, wie Dirk so sitzt. Wenn ein richtig großer Fisch anbeißt, zieht er Dirk mit in den Kanal, runter von der Mauer.
    Das sind so große mit weißen Bäuchen, sagt Dirk. Die grillen wir heute Abend. Wir machen ein Feuer und dann grillen wir die auf Stöcken.
    Au ja, sage ich. Dabei mag ich keinen Fisch. Obwohl sie schöne Tiere sind. Sie sehen gut aus, wenn sie durchs Wasser schillern. Aber Fische aufessen ist eklig. Fische schmecken, wie Meer riecht.
    Du wohnst jetzt bei Mark, ne?, fragt Dirk.
    Ja, sage ich. Ich kann Dirk nicht richtig erkennen, weil er eine Schirmmütze trägt. Dirk schaut aufs Wasser, glaube ich. Ich schaue auch aufs Wasser. Ich schaue meine Boje an. Ich weiß nicht, ob das beim Angeln Boje heißt, ich glaube nicht. Die Boje bewegt sich.
    Wie ist denn das, bei Mark zu wohnen?, fragt Dirk.
    Gut, sage ich.
    Echt?, fragt Dirk.
    Ja, sage ich.
    Mark ist komisch, sagt er. Und Frau Bloom ist auch komisch.
    Du bist auch komisch, sage ich. Dirk dreht seinen Schirmmützenkopf zu mir.
    Angeln ist langweilig, sage ich.
    Finde ich nicht, sagt Dirk.
    Wir sitzen und halten unsere Angeln ins Wasser. Die Sonne brennt durch das T-Shirt-Loch auf meiner Schulter. Es ist das T-Shirt mit der amerikanischen Flagge darauf. Ich bekomme einen Sonnenbrand unter dem Loch. Die Boje von meiner Angel zappelt im Wasser.
    Du hast einen, sagt Dirk.
    Und jetzt?, frage ich.
    Hol ihn raus, sagt Dirk.
    Mach du, sage ich. Ich gebe ihm die Angel. Die Schnüre von unseren Angeln verheddern sich. Dirk beißt sich auf die Unterlippe. Er zieht den Fisch aus dem Kanal. Es ist ein kleiner Fisch. Ein schöner Fisch mit weißem Bauch. Die Kiemen bewegen sich. Dirk bekommt den Haken nicht aus dem Mund. Er hat sich durch die Lippen gebohrt. Dirk reißt den Haken heraus. Er macht den Mund vom Fisch kaputt. Er schmeißt den Fisch zurück ins braune Wasser.
    Was soll das?, frage ich.
    Ich finde es sinnlos, einem Fisch die Lippen kaputtzumachen und ihn danach zurück ins Wasser zu werfen. Ich betrachte die Kreise auf der Oberfläche.
    Nichts, sagt Dirk. Zu klein.
    Toll, sage ich. Der kriegt jetzt eine Krankheit wegen der Wunde und stirbt.
    Na und, sagt Dirk. Ist doch bloß ein Fisch.
    Ist er nicht, sage ich.
     

61
    Ich gehe über eine braune Rasenfläche, auf der ein Gummiball liegt. Über mir dröhnt ein Flugzeug, als würde es abstürzen. Ich habe noch nie einen Flugzeugabsturz miterlebt, obwohl ich in der Einflugschneise wohne. Ich bin auf der Suche nach Haus 35. Ich gehe durch Ochsenzoll. Ochsenzoll ist eine Stadt in der Stadt mit eigenen Straßen und Häusern und einer Grenze. Es gibt einen Laden und einen eigenen Frisör. Man muss den Hinweisschildern folgen. Ich muss an Legoland denken. Da waren wir, als ich klein war. Das ist auch eine Stadt in der Stadt, eine Stadt aus Legosteinen.
    Heute ist der Geburtstag meiner Mutter. Sie ist verlegt worden. Sie ist jetzt in Haus 35. Das hat mir die Krankenschwester gesagt. Ich habe ein Geschenk für sie gekauft. Und ich habe Tulpen mitgebracht. Es sind meine Lieblingsblumen.
    Ich stehe vor Haus 35. Die Köpfe der Tulpen zeigen auf den Boden. Haus 35 ist eine Villa. Das ist ein großes, altes Haus. Das ist besser als ein Hochhaus. Ich drücke die Klinke hinunter. Die Tür ist abgeschlossen. Man muss klingeln, um hineinzukommen. Es gibt drei Klingeln. Haus 35 steht auf einem Schild, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie . Rechts von mir steht ein Fenster auf kipp. Ich kann es nirgendwo klingeln hören. Hinter dem Fenster ist die Küche. Das kann ich an den

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