Goldener Reiter: Roman (German Edition)
Er kann nicht beweisen, dass er wirklich mit Gott gesprochen hat. Jonas ist wütend auf Gott. Er verlässt die Stadt, um allein unter einer Staude zu leben.
Unter einer was?, frage ich.
Einer Staude. Das ist eine Pflanze. Er lebt unter einer Staude, die ihm Schatten gibt.
Aha, sage ich. Ich schaue ins Dunkel. Ich höre dem Aquarium zu. Das Ende habe ich nicht verstanden. Von Mark kommt nichts mehr. Ich sage: Das Ende habe ich nicht verstanden.
Ja, sagt Mark.
Und wo kommt der Name Mark her?, frage ich. Auch aus der Bibel?
Nein, sagt Mark. Obwohl, eine Geschichte in der Bibel wurde von einem Markus geschrieben. Mark kommt von Markus. Das ist römisch.
Und was bedeutet das?, frage ich.
Weiß ich nicht, sagt Mark.
Ich drehe mich auf die andere Seite.
Was ist eigentlich mit deinem Vater?, frage ich. Ist der auch gestorben?
Nein, sagt Mark. Er ist weggegangen. Er hat uns verlassen, als ich fünf war. Er hat bei einem Institut gearbeitet.
Oh, sage ich. Mark sagt nichts. Wir liegen da und hören dem Aquarium zu.
Gute Nacht, sagt Mark.
Gute Nacht, sage ich.
Ich höre der Stille zu, in der wir liegen.
58
Du bist ein Arschloch, sage ich.
Sag das nochmal, sagt René. Ich weiß nicht genau, was passiert ist. Wir haben im Treppenhaus Fußball mit einem Tennisball gespielt. René meint, er kann alles bestimmen. Er meint, er kann die Regeln bestimmen. Aber das kann er nicht. Die Mädchen gucken zu, René kann nicht alles bestimmen. René hat groß rumgemeckert, als wir uns gewehrt haben. Und ich habe Arschloch gesagt.
Das sagst du noch einmal und du erlebst dein blaues Wunder, sagt René. Ich sage gar nichts, sondern schaue René an. René ist nicht größer. Ich bin größer. Aber René ist stärker. René kann besser kämpfen. Ich habe gesehen, wie er Martin Tottke besiegt hat. Martin Tottke geht in die achte Klasse. Ich habe Botten an. Damit hat man keinen Halt. Mit Botten hat man keine Chance.
Ich habe Botten an, sage ich.
Feigling, sagt René.
Ich trage eine Brille, ich trage eine Brille, äfft Dirk mich nach.
Arschloch, sage ich zu Dirk.
Halt’s Maul, selber Arschloch, sagt Dirk.
Du Penis, sage ich.
Immer einmal Penis mehr als du, sagt Dirk.
Du Riesenwurst, sage ich.
Bei ihm traust du dich, sagt René. Bei ihm machst du das Maul auf. Aber bei mir bist du ganz klein. Sooo klein. René zeigt es mit den Fingern. Die Mädchen gucken zu. Nicole guckt zu.
Arschloch, sage ich. Ich spüre, dass mein Gesicht rot ist. René schubst mich. Ich rutsche durchs Treppenhaus auf meinen Botten.
Arschloch, sage ich. René kloppt mir ins Gesicht. Mit der Faust. Nicht weinen. Ich darf nicht weinen. Arschloch, sage ich. René kloppt und prügelt. Ich rutsche und kippe und falle. René sitzt auf mir. Knack, sagt meine Nase. Meine Nase blutet. Immer blutet meine Nase. Immer.
Na, sagt René. Hältst du jetzt die Klappe?
Arschloch, sage ich. Blut im Mund. Blut. Mund. Nase. Mädchen.
Nicole.
René steht auf und geht weg. Ich sehe den Rücken von René. Meine Nase tut weh. Mein Gesicht tut weh. Ich habe einen Botten verloren.
Das soll ich dir von Nicole geben, sagt Stefanie. Ich setze mich auf und nehme das blaue Halstuch von Nicole. Es ist das Tuch, das Nicole immer trägt. Das sollst du nass machen und dir unter die Nase halten, sagt Stefanie. Oder in den Nacken, das hilft.
Danke, sage ich. Meine Nase läuft.
59
Ich habe einen eigenen Fisch bei Blooms, sage ich. Ich gucke ihren Schuhen zu, die durch eine Pfütze gehen. Ihre Schuhe gehen mitten durch eine Pfütze hindurch, dabei trägt sie keine Gummistiefel. Ich sehe mir ihr Gesicht von der Seite an. Aus den Augenwinkeln. Meine Mutter sieht die Pfütze nicht und sie sieht ihre Schuhe nicht. Sie sieht gar nichts, glaube ich. Ich muss mich darum kümmern, sage ich.
Schön, sagt meine Mutter. Ich weiß nicht, was sie sieht. Sie starrt nach vorne.
Mama?, frage ich.
Ja, sagt sie.
Drei Frauen kommen uns entgegen. Die Frau in der Mitte hat ein rotes Kleid an. Das Kleid geht ihr bis zu den Knien. Die Frauen setzen sich auf eine Bank. Sie sitzen einfach so da. Wir gehen an der Bank vorbei. Meine Mutter guckt auf den Boden. Ich gucke die Beine von der Frau im roten Kleid an. Unter dem Kleid trägt sie durchsichtige Strümpfe. Ihr wachsen schwarze Haare auf den Beinen, das kann man durch die Strümpfe sehen. Die Haare werden von den Strümpfen gegen die Schienbeine gepresst. Die Beine erinnern mich an Werwolf-Beine.
Ich drehe mich nach den Frauen um. Sie sitzen
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