Goldener Sonntag
würden am nächsten Morgen Wasser, Lebensmittel und Medikamente ausgeben. Jeder Haushalt wurde aufgefordert, einen Angehörigen zu schicken, der Handschuhe, eine irgendwie geartete Gesichtsmaske und einen Mantel zu tragen hatte. Die Schutzkleidung war abzulegen, bevor man wieder ins Haus ging.
Blatt hatte die relative Sicherheit der Klinik verlassen, um Hilfe für die Schläfer zu erhalten, unter denen sich auch ihre Tante Mango befand. Lady Freitag hatte nie beabsichtigt, dass ihre Privatklinik tatsächlich einmal lebende Patienten versorgte, daher waren nur sehr wenig Medikamente und Lebensmittel vorrätig, und das einzige Wasser, von dem sie sicher waren, dass es nicht kontaminiert war, kam aus einem einsamen Trinkwasserbehälter, der in der Pforte gestanden hatte und dessen Inhalt bei so vielen Leuten gerade für einen kleinen Schluck für jeden reichte.
Blatt fuhr sich mit der Zunge im ausgetrockneten Mund herum, als sie an diesen Wasserspender dachte. Sie sah Leute, die vor ihr in der Schlange gestanden hatten und jetzt mit großen, versiegelten Wasserbehältern und von der Armee zur Verfügung gestellten Rucksäcken, die vermutlich Essen und Medikamente enthielten, an ihr vorbeigingen.
Sie hatte versucht, einem der wachhabenden Soldaten zu erklären, dass sie nicht aus einem normalen Haushalt kam und mehr Hilfe brauchte, aber er hatte sich geweigert, ihr zuzuhören, und sie aufgefordert, sich anzustellen. Sie hatte zu diskutieren versucht, doch der Mann hatte nur den Lauf seines Sturmgewehrs gehoben und seine Aufforderung wiederholt. Seine Stimme durch die Gasmaske hatte nervös geklungen, deshalb hatte sie klein beigegeben.
Das war jetzt eine Stunde her, doch nun war sie fast an dem Schreibtisch angekommen, an dem zwei andere Soldaten, die in ihren ABC-Schutzanzügen unförmig und fremdartig aussahen, die Leute auf einer Liste abhakten, bevor diese ihre Almosen bekamen. Zwei weitere Soldaten standen ganz in der Nähe, die Sturmgewehre im Anschlag, und ein gepanzerter Mannschaftswagen war so geparkt, dass das Turmgeschütz nach der langen Menschenreihe ausgerichtet war, die sich hinter Blatt erstreckte. In mancherlei Hinsicht machten sie den Eindruck, als ob sie sich auf feindlichem Territorium befänden und nicht auf einer Hilfsmission in ihrem eigenen Land. Andererseits, so nahm Blatt an, waren die Soldaten wohl besorgt, die Menschen könnten sie angreifen, weil letzten Endes sie es gewesen waren, die das Krankenhaus zerstört und die umliegende Gegend verstrahlt hatten, angeblich, um sie für weitere Virusinfektionen unfruchtbar zu machen.
»Name?«, fragte die Soldatin, als Blatt vor den Schreibtisch trat. Selbst durch die Maske klang sie freundlicher als der Soldat, mit dem Blatt zuerst gesprochen hatte. »Wie viele Familienangehörige? Jemand krank?«
»Mein Name ist Blatt, aber ich bin nicht wegen meiner Familie hier. Ich komme aus Freitags Privatklinik, drei Blöcke von hier. Wir haben mehr als tausend Patienten … und wir brauchen Hilfe!«
»Ah … tausend Patienten?«, wiederholte die Soldatin. Hinter der Maske konnte Blatt ihr Gesicht nicht sehen und noch nicht einmal ihre Augen, denn die Armeemasken besaßen getönte Gläser – aber sie hörte sich schockiert an. »Eine Privatklinik?«
»Ich glaube, es sind eintausendundsieben«, sagte Blatt. »Die meisten davon ziemlich alt, also sind ein paar auch krank. Ich meine, nicht aufgrund der Strahlung, wenigstens noch nicht, sondern, weil sie schon bei Einlieferung krank waren. Oder einfach nur alt.«
»Äh, ich muss das überprüfen«, sagte die Soldatin. »Bitte stell dich da drüben hin und warte!«
Blatt stellte sich auf die Seite, während die Soldatin einen Schalter an der Seite ihrer Maske umlegte und in ihr Funkgerät sprach. Die Maske dämpfte ihre Stimme, doch ein paar Worte konnte Blatt verstehen.
»Privatklinik … tausend oder mehr … nicht aufgelistet … Nein, Sir … Karte …«
Die nächsten Worte bekam Blatt nicht mit. Dann schwieg die Soldatin und lauschte einer Antwort, von der Blatt überhaupt nichts hören konnte. Dies ging wenigstens eine Minute lang so weiter, dann wandte sich die Soldatin an Blatt und sagte: »In Ordnung, Major Penhaligon ist unterwegs zu dir. Warte hier, bis er eintrifft!«
Major Penhaligon?, dachte Blatt . Das muss Arthurs Bruder sein, der ihn vor dem Atomschlag gewarnt hat.
Während sie wartete, schaute sie sich um. In gewisser Weise war das Ostbezirks-Krankenhaus immer noch zu sehen, etwa
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