Goldener Sonntag
tödlich, und wenn es dort eine Klinik gibt, dann liegt sie an der Grenze davon. Ich denke, wir sollten besser gehen und uns die Sache ansehen. Chen, geben Sie Fräulein … äh, Fräulein …?«
»Ich heiße Blatt«, sagte Blatt.
»Geben Sie Fräulein Blatt eine Spritze CBL505.«
»Das ist ein Strahlungsschutzmedikament«, erklärte Chen, als sie Blatt einen Autoinjektor an den Hals klatschte. Blatt spürte den Stich der Nadel, bevor sie zurückzucken konnte. »Dasselbe wie in den Rucksäcken, die wir ausgeben. Ah, Sir, wenn wir uns näher an den Bodennullpunkt begeben, sollten wir Fräulein Blatt in einen Anzug stecken.«
»In Ordnung«, stimmte Major Penhaligon zu. »Sie machen kehrt und gehen zu … Dekontamination Vier ist für weibliches Personal, richtig? Lassen Sie sie säubern und einkleiden, und geben Sie mir dann Bescheid. Ich muss gehen und mich um etwas kümmern.«
»Jawohl, Sir!«, sagte Chen. Sie nahm Blatt am Arm und schickte sich an, sie fortzuführen.
»Danke«, sagte Blatt. Dann, weil sie sich Gedanken um Arthur machte und sich fragte, wo er wohl sein mochte, fügte sie hinzu: »Sind Sie zufällig verwandt mit Arthur Penhaligon?«
Major Penhaligon wirbelte herum. »Das ist mein kleiner Bruder! Kennst du ihn? Weißt du, wo er ist?«
»Er ist ein Freund von mir«, sagte Blatt. »Aber wo er ist, weiß ich nicht.«
»Wann hast du ihn zuletzt gesehen?«, fragte Major Penhaligon.
»Ah … irgendwann letzte Woche«, erwiderte Blatt vorsichtig »Hat er irgendetwas Seltsames erwähnt?«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Blatt. Sie versuchte, eine ausdruckslose Miene zu bewahren. Egal, wie man »seltsam« definierte, alles, worin Arthur in letzter Zeit verwickelt gewesen war, fiel zweifellos darunter.
»Papas Haus ist nicht mehr da«, erklärte Major Penhaligon. »Nicht zerstört, sondern einfach … fort. Michaeli und Eric habe ich aufgespürt – sie sind bei Freunden, es geht ihnen gut aber Arthur und Emily kann ich nirgendwo finden.«
»’ne Menge verrücktes Zeug ist in der Gegend hier passiert«, meinte Blatt.
»Das kann man wohl sagen!«, stimmte Major Penhaligon ihr zu. »Wo hast du Arthur gesehen?«
»Im Krankenhaus«, sagte Blatt. Auf diese plötzliche Frage war sie nicht vorbereitet gewesen. »Freitags Klinik, meine ich. Bei den alten Leuten. Aber er ging weg.«
»Wo ging er hin?«
Blatt schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
»Wann war das?«
»Freitagabend. Ah, nachdem Sie ihn angerufen haben.«
»Nachdem ich ihn angerufen habe?«, wunderte sich Major Penhaligon. »Aber ich habe ihn zu Hause angerufen! Er hätte nicht die Zeit gehabt, von dort aus auch nur in die Nähe von hier zu kommen, und laut den Nachbarn war das Haus bereits weg …«
»Das Gespräch wurde durchgestellt«, sagte Blatt, was sogar der Wahrheit entsprach. Sie konnte ihm nur nicht sagen, dass es zu einem Telefon durchgestellt worden war, das aus dem Nichts erschienen war.
»Ich schätze, das erklärt wohl, wie das Haus verschwunden sein und ich trotzdem mit Arthur sprechen konnte.« M¿yor Penhaligon schüttelte den Kopf. »Diese Geschichte nimmt immer bizarrere Formen an. Ich begreife nicht, wie es ein ganzes Krankenhaus voller Patienten geben kann, das weder in einer Datenbank erfasst noch auf einer Karte verzeichnet ist. Feldwebel Chen, Blatt, wir sehen uns in fünfzehn Minuten bei Dekon Vier!«
Er drehte sich um und ging mit großen Schritten weg. Chen zog Blatt sachte am Arm fort und dirigierte sie in Richtung einer Seitenstraße.
»Hier entlang«, sagte die Soldatin. »Es ist nicht weit.«
»In Ordnung«, antwortete Blatt. Die ersten paar Schritte war sie ruhig, weil sie an Arthur, ihre Familie und all die Schläfer in der Klinik dachte. Es gab so viel zu tun! Einen Moment lang fragte sie sich, warum sie sich überhaupt noch Sorgen machte, wo es doch so aussah, als würde das gesamte Universum vom Nichts ausgelöscht.
Aber vielleicht ist’s ja doch nicht das Ende des Universums, sagte sich Blatt . Und wie würdest du dann dastehen? Besser, du tust etwas, denn es könnte ja auch alles gut gehen.
»Was geht eigentlich sonst noch Sonderbares vor?«, fragte sie Chen.
»So einiges«, antwortete die Soldatin, ließ es jedoch bei dieser unbefriedigenden Auskunft bewenden. Sie gingen noch etwa zwanzig Meter weiter und bogen um die nächste Ecke. Blatt sah, dass die ganze Hauptstraße mit Dutzenden von Fahrzeugen von Armee und FBA, der staatlichen Bioaufsichtsbehörde, vollgestopft war. Die
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