Goldfalke (German Edition)
nur aufhalten. Nesrin war sich sicher, dass hinter diesem Dünenkamm da drüben etwas ist. Ich werde dorthin gehen und nachprüfen, was sie gemeint hat.“ Sie stopfte Nesrins Tasche unter die Kniekehlen ihrer bewusstlosen Besitzerin. „Der Wasserschlauch hier drin ist genug für dich und für Nesrin, falls sie unterwegs aufwacht. Das Wasser in meinem eigenen Schlauch reicht mir noch für einen Tag. Komm einfach morgen wieder mit neuen Vorräten!“
Amirs besorgte Miene erhärtete sich. „Auf keinen Fall lasse ich dich allein! Du kommst mit!“
„ Hast du mir überhaupt zugehört? Nur ohne mich hast du eine Chance, schnell genug zum Palast zu kommen. Außerdem bin ich nicht so weit gegangen, um jetzt aufzugeben.“
„Wir gehen zusammen oder gar nicht !“
Wütend stemmte Kiana die Hände in die Hüften. „Ich habe Sahmarans Schlangenhöhle übe rwunden, zwei Schriftrollen aus dämonenverseuchten Ruinen geholt und drei Kämpfe gegen Skorpionkrieger bestritten. Ich komme zurecht!“
„Trotzdem …“
Sie ließ ihn nicht ausreden: „Als du in dem magischen See untergegangen bist, ist Nesrin nur deshalb im Wasser gelandet, weil sie dir ohne zu zögern hinterher gesprungen ist, um dich zu retten. Jetzt rette du sie! Oder erkläre dem Großwesir, dass sie nicht überlebt hat, weil du zu viel Zeit vertrödelt hast!“
Amir presste die Lippen zusammen, dann stieg er auf den Teppich und schob Nesrin auf se inen Schoß. „Ich lasse dir den Meerhengst da.“ Er sah auf seinen Dschinn - „Bleib bei Kiana und gehorche ihr!“ - und dann wieder auf sie. „Dann geh zu diesem Hügelkamm und warte in seinem Schatten! Dort werde ich dich finden. Hauptsache, du bist weg von diesem Wald, bevor noch eines der Monster den Weg heraus findet. Und mach bloß nichts Dummes! Oder Unvorsichtiges! Mach am besten überhaupt nichts! Nur schauen und warten, nichts tun, verstanden? Ich komme zurück, sobald ich kann.“ Er ließ den Teppich in die Höhe steigen und raste mit Nesrin und Baski davon. So elegant und schnell, wie Kiana es nie im Leben gekonnt hätte. Mit jeder Faser ihres Herzens wünschte sie, dass er es rechtzeitig zum Palast schaffen würde. Und dass all die klugen, wissenden Köpfe dort Nesrin retten konnten.
Ein dumpfes Grunzen riss Kiana zurück in ihr eigenes Jetzt.
Bang drehte sie sich zum Waldrand um, wo ein Ghul versuchte, sich zwischen den Baumstämmen hindurch ins Freie zu zwängen. Seine kleinen Augen glotzten Kiana an. Sabber und Grunzlaute troffen aus dem breiten Maul. Höchste Zeit zu verschwinden!
Und zwar blitzschnell!
Mit fahrigen Fingern hängte sie sich ihre Tasche um und rannte auf den Meerhengst zu, um sich auf seinen Rücken zu schwingen. Doch das, was bei Amir so mühelos ausgesehen hatte, endete damit, dass Kiana wie ein nasser Getreidesack an der Flanke des Hengstes hing, während der sich mit einem missbilligenden Schnauben um sie herum im Kreis drehte.
Inzwischen hatte es der Ghul ins Freie geschafft. Überraschend geschickt wehrte er beidhändig die Angriffe des Falken ab.
An seiner Flossenmähne zerrte Kiana den Meerhengst zu einem Sandhaufen, um diesen als Trittbrett zu benutzen. Aber der Sand rutschte weg. „Jetzt hilf doch auch mal mit, du blöder Klappergaul!“, fauchte sie. „Kannst du nicht ein bisschen in die Knie gehen?“
Der Meerhengst warf ihr einen Blick zu, der die gesa mte Verachtung ausdrückte, zu der seine Fischaugen fähig waren, dann senkte sich seine Kruppe, bis er auf dem Hintern saß wie ein Hund. Schließlich schaffte es Kiana, sich mit Armen und Beinen auf dem schuppigen Pferderücken festzuklammern. Der Hengst stand auf.
U nd Kiana rutschte wieder herunter.
Der Falke hatte dem Ghul bereits ein Auge ausgehackt. Obwohl das Untier vor Schmerz brüllte, torkelte es weiter auf Kiana zu. Der Meerhengst trat nach dem Ghul, traf ihn an der Schulter und warf ihn um, doch der rappelte sich unbeirrt auf. Seine groben Hände streckten sich nach Kiana aus.
Wie ein Pfeil traf der Falke die Stirn des Ghuls, blieb alle rdings mit dem Schnabel in dem harten Schädel stecken. Heulend packte die Bestie den Falken und schleuderte ihn fort. Der Vogel schlidderte ein Stück über den Sand, bevor er sich wieder in die Luft erhob. Zum Glück unverletzt. Zwei Skorpionkrieger kämpften sich durch die Baumreihen.
Der Meerhengst scheute und trabte los. Die Fäuste in seine Mähnenflosse festgekrallt ließ sich Kiana von ihm mitziehen. Mehrmals glitt sie aus auf dem tückischen
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