Goldfalke (German Edition)
Sand, doch das Pferd schleifte sie weiter. Sie hielt sich an der Mähne fest, so lange sie konnte.
Und noch länger.
Als ihre tauben Finger den Kampf gegen die Erschöpfung verloren und von der Mähne abgli tten, fiel Kiana in den Sand. Der Meerhengst lief noch ein Stück und blieb dann stehen. Kiana blieb liegen, wo sie war, hob den Kopf und schaute sich um. Sie und der Meerhengst waren weiter gekommen, als sie gedacht hatte. Den Wald konnte sie gar nicht mehr sehen. Die unzähligen Sandhügel, über die der Meerhengst sie geschleift hatte, verdeckten die Sicht auf alles, was nicht aus Sand war. Allerdings erschien der langgezogene Dünenkamm, auf den Nesrin gezeigt hatte, nicht näher gekommen zu sein. Nicht einen Schritt näher, obwohl der Meerhengst schnurstracks darauf zugehalten hatte! Es schien, als wollte die Wüste jeden verspotten, der sich erdreistete, in ihr auf ein Überleben zu hoffen.
Kianas Zunge fühlte sich an wie ein vertrockneter Fremdkörper. Obwohl das Durstgefühl übermächtig wurde, erschien ihr einen kleinen, grausamen Moment lang die Anstrengung, die Tasche mit ihren gefühllosen Fingern aufzufummeln, den Wasserschlauch herauszuholen, den Verschluss zu öffnen und an die Lippen zu setzen, als ein zu großer Kraftakt. Dann riss sie sich zusammen, holte den Wasserschlauch ans Tageslicht und trank gierig den gesamten Inhalt leer.
Und bereute es einen Wimpernschlag später. Denn jetzt, so ohne den geringsten Wasservorrat und ohne Nesrin, die für alles eine Lösung und einen lockeren Spruch bereithielt, wirkte die Wüste gleich viel heißer. Hoffnungsloser.
Tödlich er.
Mit neuer Verbissenheit kämpfte sich Kiana auf die Beine und beschloss, der Wüste, dieser gnadenlosen Lehrerin, den Beweis zu erbringen, dass Kiana ihres Zieles würdig war. Ihre Aufmerksamkeit stieg hoch zu ihrem Falken, der im stechenden Blau des Himmels kreiste. Angestrengt versuchte sie, das Sehen durch seine Augen bewusst herbei zu zwingen. Es gelang tatsächlich. Nun sah sie von oben auf alles herab und erkannte weit hinter sich den Wald als eine dunkle Merkwürdigkeit im eintönigen Sand. Wenigstens war ihr kein Ghul oder Skorpionkrieger gefolgt. Offenbar hatten die andere Probleme.
Linker Hand konnte sie etwas Undeutliches in der Luft ausmachen, das sich rasch entfernte. Das mussten ihre Freunde auf dem Teppich sein. Wahrscheinlich.
Hoffentlich.
Ihre Falkenaugen schauten hinter den Dünenkamm, der Nesrins Interesse erregt hatte, und erkannten zunächst nichts außer noch mehr Dünen. Doch dann fiel etwas auf. Etwas Kleines, Dunkles, vom Sand fast vollständig Zugewehtes.
Der Falke flog näher heran und nahm so etwas wie ein winziges Dach wahr. Ein Häuschen? Ein Türmchen? Selbst der Falke konnte das von oben nicht klar erkennen. Die vor Hitze flimmernde Luft zerkochte die Konturen und nahm ihnen jeden Hauch von Wirklichkeit.
Kiana kehrte in ihren Körper zurück , griff die Mähnenflosse des Meerhengstes und ließ sich von ihm vorwärts ziehen. Hin zu jenem Dünenkamm. Und darüber hinweg. Nun sah sie mit ihren eigenen Augen dieses seltsame, kleine, mit Wüstensand überzuckerte Dach. Als sie näher kam, erkannte sie, dass es eine Art Zwergenhaus war, gerade mal so hoch wie sie selbst. Es besaß nur ein Dach und einen dreieckigen Eingang. Und sonst nichts. Kein einziges Fenster.
Der Eingang war verschlossen. Kiana grub ihn aus dem Sand frei und tastete daran herum, bis sie merkte, das es sich um eine Schiebetür aus dickem Blech handelte. Sand knirschte gequält, als Kiana die Tür mit aller Kraft Stück für Stück aufschob. Schweiß erschien auf ihrer Stirn und vertrocknete gleich in der Hitze.
Endlich schaffte es Kiana, den Eingang ganz aufzustemmen. Vorsichtig spähte sie hinein und erkannte, dass das geheimnisvolle, kleine Gebäude kein Häuschen war, sondern lediglich die Überdachung für eine Treppe, die sich spiralig in die Tiefe wand.
Irgendwie fühlte sich Kiana an den Brunnenschacht erinnert, der zum Tal der Dschinns führte. Auch der wirkte von außen recht unbedeutend im Vergleich zu der Welt, die sich dahinter verbarg.
Zögernd beäugte Kiana die Treppe. Nichts war zu sehen außer eben den Stufen und der nackten Wand des Treppenschachts. Mit den Beinen voran zwängte sich Kiana durch den Eingang.
Der Treppenschacht war viel geräumiger, als der zwergenhafte Eingang vermuten ließ, und es war dunkel, aber nicht stockduster. Irgendwo da unten schien es Licht zu geben. Spärliches Licht
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