Goldfalke (German Edition)
schafft es nicht“, keuchte Nesrin.
Das sah Kiana auch. „Wir müssen ihn auf den Teppich ziehen.“
„Drei Personen packt das Teil nicht.“
„Wir müssen es ja nur ein kurzes Stück weit schaffen, bis wir aus diesem Skorpionnest dra ußen sind. Dann kann Amir ja wieder auf seinem Dschinn weiterreiten.“ Mit bangem Herzen bemerkte Kiana die herabsausenden Giftstacheln, vor denen sich der Meerhengst nur mit knapper Not retten konnte, indem er im Zickzackkurs durch die Reihen der Feinde galoppierte.
„Du hast Recht, Ki. Wir müssen es riskieren, sonst ist Amir geliefert.“ Nesrin senkte den Teppich zu Amir herab. „Los, spring rüber!“
„Hast du nicht gesagt, drei sind zu viel für einen Teppich?“, brüllte er zurück. „Bringt ihr euch lieber selber in Sicherheit!“
Nesrin flog noch näher an ihn heran. „ Halt die Klappe und spring endlich, sonst bist du am Arsch!“
Ein schneller Rundumblick über die von allen Seiten heranpreschenden Feinde zeigte Amir, dass er nicht überleben würde, wenn er noch länger zögerte. Als er herüber sprang und bäuchlings zwischen Nesrin und Kiana landete, schwankte der Teppich wild, sackte ab, kippte. Nesrin kämpfte, um ihn ins Gleichgewicht zu bringen, auch Kiana konzentrierte sich krampfhaft, drückte ihren ganzen Willen in die Teppichfasern hinein, aber trotz allem sank er weiter in die Tiefe, bis er gänzlich jeden Halt verlor und sich zusammenknüllte wie ein Putzlappen. Amir und die Mädchen fielen mitsamt Gepäck und Teppich in den Sand.
Der Aufprall raubte Kiana den Atem, doch die Angst brachte sie rasch auf die Beine. Noch kniend trennte Amir mit seinem Vierklingendolch einem Skorpion den Schwanz ab, der Meerhengst trampelte einen Ghul tot, Baski brachte einen weiteren zu Fall, und der Falke sprang einem Skorpion ins Gesicht. Aber die Feinde waren zu viele.
Nesrin duckte sich unter der mächtigen Greifschere eines vernarbten Skorpionkriegers hindurch, griff sich ihre Tasche, fummelte hektisch den kleinen Kamm aus dem weißen Döschen hervor, schleuderte ihn dem Skorpion mitten ins Gesicht und fauchte: „Na, wie gefällt dir das, Plastikfresse?“
Ihr Gegner fror mitten in der Bewegung fest und starrte den Kamm an, der vor ihm in den Sand gefallen war. Auch Nesrin starrte den Kamm an. Dann stieg der Skorpion ungerührt darüber hinweg. Weiter auf Nesrin zu. Bis er erneut stoppte. Und wild mit seinen vielen Beinen ruderte, als er hochgehoben wurde von dem Speer, der ihn durchbohrte.
Nein, es war kein Speer, der da blitzschnell aus dem Boden stach, wie Kiana im nächsten Moment erkannte. Es war vielmehr ein Baum, der als spitzer Trieb den Sand durchstieß, alles aufspießte, was ihm im Weg war, höher, größer, dicker wurde und binnen eines Wimpernschlags zu einer stattlichen Eiche heranwuchs.
Mit einem Laut, der eine Mischung aus Fluch und Quietschen war, sprang Nesrin zur Seite, als ein weiterer Baum n eben ihr in die Höhe schoss. Baski schrumpfte zum Kätzchen und hüpfte zwischen den vielen treibenden Stämmen hin und her.
D iejenigen der Skorpionkrieger, die sich geistesgegenwärtig auf die Hinterbeine stellten, versuchten, sich hochkant zwischen den wachsenden Eichenstämmen hindurch zu schieben. Die anderen wurden gepfählt, in die Höhe gehoben und kurz darauf durch das Dickenwachstum der Stämme auseinander gerissen.
Ringsum trieben immer mehr Bäume aus und wuchsen so eilig, dass ihre Rinde ächzte. Wu rzeln krochen über den plötzlich schattigen Sand, Äste streckten sich aus, das Blätterdach raschelte in luftiger Höhe. Ein Ghul brüllte auf, als zwei Baumstämme ihn zuerst einklemmten, dann zerquetschten. Unmittelbar daneben haute Amir mit dem Vierklingendolch einen Schössling ab, der zwischen seinen Beinen aus dem Sand kam, doch schon wuchsen seitlich aus dem Stumpf drei Triebe heraus, die allesamt Amir entgegenwucherten, bis er sich hinter eine dicke Eiche retten konnte. Der Meerhengst stieg wiehernd auf die Hinterbeine, als vor ihm ein Zwillingsstamm aus dem Sand brach.
„Hol deinen Dschinn in die Flasche , Amir!“, rief Nesrin. „Sonst gibt’s hier gleich Pferdeschaschlik!“
Amir öffnete seine Glasphiole . Der Meerhengst verschwand darin. Auch Baski löste sich in Luft auf.
Eng an einen mächtigen Baumstamm geschmiegt schickte Kiana ihren Blick hoch zu ihrem Falken, konnte ihn zunächst nicht sehen durch das dichte Blattwerk hindurch, doch dann schaute sie auf einmal durch seine Augen auf die Baumkronen
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