Goldfalke (German Edition)
hinab.
Durch die Falkenaugen!
Der Wald war größer, als sie gedacht hatte. Sie erkannte auch, dass keine weiteren Schösslinge mehr aus dem Boden sprossen und dass die anderen nur noch in die Höhe und in die Breite wuchsen. Rechts von dort, wo sich Kiana und ihre Freunde befanden, war der Bewuchs am dünnsten und der Weg hinaus aus dem Wald am kürzesten. Kiana unterbrach den Kontakt mit ihrem Dschinn, spürte wieder die raue Rinde in ihrem Rücken und den mit verholzten Wurzeln überzogenen Sand unter ihren Fußsohlen. Sie schnappte sich ihre Tasche und ihren Teppich und wandte sich nach rechts. „Wir müssen hier entlang!“
„Woher willst du das denn wissen?“, fragte Amir, folgte ihr jedoch ohne Umschweife.
Nesrin ließ ihren Dschinn in seiner Kätzchenform erscheinen und voraus rennen. „Baski gibt dir Recht, Ki. Also los, nichts wie raus hier!“
Schaudernd huschte Kiana unter einem Skorpionkrieger hindurch, den ein schräg verlaufender Ast aufgespießt und in die Höhe gehoben hatte. Die dürren Skorpionbeine ruderten in der Luft. Auf schaurige Weise nutzlos. Träge rann bläuliches Blut die Baumrinde herab.
Nur ein paar Schritte weiter lag ein toter Ghul auf dem Boden, erdrosselt von einer Wurzel, die sich spiralig um seinen Nacken gewunden hatte, in das breite Maul eingedrungen und aus der linken Augenhöhle wieder herausgekommen war. Der Anblick ließ Kiana noch schneller zwischen den Bäumen hindurchhasten, bis sie völlig außer Atem den Waldrand erreichte. Sogar Amir musste nach Luft ringen.
Schnaufend wie ein Rennpferd stützte sich Nesrin am letzten Baum ab. „Nichts gegen ein bisschen Schatten“, sie schaute hoch zum Himmel, „aber jetzt bin ich doch ziemlich froh, die gute, alte, backofenheiße Wüstensonne wieder zu sehen. Jetzt weiß ich auch, was mein Ziehvater gemeint hat, als er mich warnte, erst mal alles genau abzuwägen, bevor man einen Zauber macht.“ Blinzelnd streckte sie ihr Kreuz durch. „Wir sollten uns flott verdrücken, bevor Damons Freaks auch aus diesem Horror-Wald hier rausfinden.“ Sie stutzte. “Moment mal! Seht ihr diesen Dünenkamm da vorne? Seht ihr, wie Baski dorthin schaut und ganz wuschig wird? Ich bin mir sicher, dass dahinter was ist, und wenn …“ Ihr Satz endete schlagartig, als sie leblos zu Boden fiel.
Und mit ihr Baski.
Keiner hatte den Skorpion gesehen, der sich aufrecht wie ein Mensch stehend hinter einer dicken Eiche verborgen hatte. Wie eine Peitsche war sein Schwanz gegen Nesrin geschnellt und hatte zugestochen, bevor Amirs Vierklingendolch ihn abtrennte. Mit einem zweiten kraftvollen Hieb spaltete Amir das Gesicht des Skorpions, während Kiana alles, was sie trug, fallen ließ und neben Nesrin auf die Knie fiel. Nesrin atmete. Aber schwach.
Sehr schwach.
Kiana drehte sie auf den Bauch, fand die blutende Stelle zwischen den Schulterblättern, wo der mächtige Stachel die Haut durchbohrt hatte, riss den Stoff beiseite und begann, die Wunde auszusaugen.
Amir bückte sich über sie. „Wie geht es ihr?“
Kiana spuckte angesaugtes Blut aus. „ Weiß ich nicht.“
„Lebt sie?“
„Ja.“ Die Angst um das Mädchen, das ihrem Herzen näher war als eine leibliche Schwester es je hätte sein können, machte Kiana unwirsch. „Oder was glaubst du, was ich sonst hier mache?“
Daraufhin ließ Amir sie in Ruhe und bewachte den Waldrand, während sie weitersaugte, bis ihr schwindlig wurde. Dann drehte sie ihre Freundin um und schüttelte sie. Doch Nesrin wachte nicht auf. Aber wenigstens atmete sie.
Oder?
„Sie muss schnellstens zurück in den Palast, Amir. Ava und Fatima wissen bestimmt, was zu tun ist.“
Amir warf den Teppich in die Luft, hob Nesrin hoch und legte sie vorsichtig darauf. „Setz dich hinter sie!“, bestimmte er. „Du fliegst mit ihr voraus. Ich reite euch hinterher und halte euch den Rücken frei, soweit ich das vom Boden aus kann.“
Kiana legte die schlaffe Baski n eben Nesrin. „Nein, ich …“
„Du musst nur schnurgerade nach Nordosten fli egen.“ Da er sie kannte, streckte er seinen Arm in die Richtung. „Dorthin, siehst du?“
„Nein, Amir. Du bist der bessere Flieger und findest den Palast ganz offensichtlich schneller als ich. Du fliegst!“
„Dann nimmst du den Meerhengst. Keine Angst, ich werde dich von oben im Auge behalten und in Sichtweite bleiben.“ Er öffnete den Anhänger an seinem Hals und ließ seinen Dschinn herausströmen.
Kiana hatte bereits anders entschieden. „Das würde dich
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