Goldfalke (German Edition)
nichts als brütende Staubtrockenheit übrig blieb. Und dann kam der Wind.
Eine Böe erfasste den Pfeilteppich und brachte ihn zum Schwanken. Schimpfend kämpfte Nesrin um Gleichgewicht, dann setzte sie den Teppich unsanft am Fuß einer hohen Sanddüne auf dem Boden ab.
Amir trabte heran. „Was ist los?“
Nesrins Locken peitschten ihr Gesicht. „Wir sollten hier warten, bis der Wind vorbeigebl asen ist, sonst haut er uns noch runter vom Teppich! Nur leider gibt es hier keinen gescheiten Rastplatz. Nur Sandhaufen weit und breit. Moment mal, was ist das denn?“
Jetzt sah Kiana es auch. Dort, wo sich die Ebene mit Nesrins See befinden musste, türmte sich etwas auf. Etwas Hohes, Wütendes, das so breit war wie der Horizont.
„Ein Sandsturm“, hauchte Amir. „Das muss ein Sandsturm sein. Und er kommt auf uns zu!“
„Ja.“ Nesrin überdachte ihre Augen mit der Hand. „Das verdunstende Wasser hat anscheinend das Klima dort mächtig aufgemischt. Wir haben keine Zeit mehr, so was wie einen Unterstand zu finden. Wir müssen uns hier in den Sand eingraben. Lasst eure Dschinns verschwinden, sonst wehen sie euch noch davon!“
Kiana öffnete das Glasfläschchen an ihrem Hals. Für den Bruchteil einer Sekunde erlebte sie den nahenden Sandsturm von oben, mit den Augen ihres Falken, dann stach der Vogel herab und verschwand in der Phiole. Und Kiana fand sich verwirrt am Boden kniend wieder.
Fast den gleichen Glasanhänger zog Amir aus dem Ausschnitt seines Hemdes hervor. Der Meerhengst sprang herbei, wurde lang und dünn und ergoss sich wie ein Strahl in Amirs Phiole.
Nesrin schüttelte den Kopf. „Ihr Trübe-Welt-Tassen immer mit euren unpraktischen Dschinn-Flaschen! Ihr habt noch nicht gecheckt, dass Aladin mit seinem Flaschengeist nur ein Märchen ist, oder?“ Sie schaute auf Baski, und schon löste sich das Kätzchen in Luft auf. „So geht das!“
„Ist das jetzt wichtig?“ schnappte Amir. „Grab lieber, statt zu quasseln!“
Eine weitere Böe heißen Windes brauste heran und warf Nesrin fast um. „Schon gut, ich grab ja schon!“ Sie sank auf die Knie und buddelte mit bloßen Händen.
Zusammen hoben sie eine Schutzgrube aus, die, wie Kiana hoffte, nur zufällig aussah wie ein Grab. Dort kauerten sie sich aneinander und zogen auch ihre Taschen heran. Die Mädchen bedeckten ihr Gesicht mit ihren Schals und Amir seines mit dem losen Ende seines Turbans. Den Teppich hielten sie wie ein Schild über sich. Sie mussten nicht lange warten.
Dann ging die Hölle los.
Der Sand knirschte gepeinigt, als die Sturmfront ihn zuerst niederwalzte, dann aufwirbelte und über den Boden trieb. Die Ränder der Schutzgrube wurden weggeweht. Nur noch der Teppich, verbissen von allen verfügbaren Händen und vielleicht auch durch ihren bloßen Willen festgehalten, bot den drei Jugendlichen Schutz. Zumindest halbwegs. Kleinste Sandkörnchen drangen durch die Maschen von allen Geweben und fanden den Weg in Ohren und Nase, quetschten sich sogar zwischen die Wimpern.
Gerade als das Gefühl zu ersticken übermächtig wurde, beruhigte sich der geschundene Sand. Nach Luft schnappend klappte Kiana den Teppich um und kroch mit ihren Freunden aus dem freigewehten Versteck. Die gigantische Sandwolke war bereits ein großes Stück weitergerollt, hatte Dünen plattgebügelt. Und Gesteinsbrocken freigelegt. Sowie alles, was sich sonst noch unter dem Sand verbarg.
Offenbar hatten lange vor Nesrin andere Wesen den nahenden Sturm gespürt und die Idee gehabt, sich im Sand zu vergraben. Nun hatte der Wind sie rücksichtslos freigeblasen und sie wieder dem Sonnenlicht ausgeliefert. Ein Skorpionkrieger nach dem anderen reckte seinen Kopf in die Höhe. Zehn, zwanzig, hundert, unzählige. Mehr noch als die vorhin in der Ebene. Und jetzt waren auch noch Ghule dazwischen. Kiana und ihre Freunde befanden sich mitten unter ihnen.
Amir ließ den Meerhengst frei und schwang sich auf seinen Rücken. Kiana ergriff die Taschen, sprang hinter Nesrin auf den Teppich, der sofort hoch in die Luft stieg, und schickte den Falken, um Amirs Rücken zu decken.
B aski erschien als Säbelzahntiger, rannte vor dem Meerhengst her und räumte mit ihren Pranken den Weg frei. Ihre Krallen rissen tiefe Wunden in Skorpion- und Ghulfleisch. Doch immer mehr Bestien rückten nach. Von vorne, von hinten, von allen Seiten. Die Skorpione stellten ihre Stacheln auf, die Ghule schwangen Äxte, Keulen oder ihre bloßen mächtigen Arme.
„Amir
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