Goldfalke (German Edition)
Haupttor fand, und dann raste er, was seine Ziegenbeine hergaben, ab in Richtung Gebirge und wurde seitdem nicht mehr gesichtet.“
Kiana hörte ihren Namen, blickte auf und sah, wie Fatima sie herbeiwinkte und sich nach hinten in Richtung Küche begab. Kiana stand auf und folgte der alten Frau durch die hintere Saaltür in den Küchenbereich, wo fünf von Avas Dschinns geschäftig hantierten.
Fatima nahm einem der Dschinns einen Teller mit frittiertem Hefegebäck ab, drückte ihn Kiana in die Hand und ließ sich auf der kniehohen Fensterbank nieder, von der aus man auf die Terrasse schauen konnte. „Iss, Töchterchen und setz dich zu mir! Hier hast du deine Ruhe.“
Ihren Dank murmelnd nahm Kiana Platz und stürzte sich hungrig auf das Gebäck, das mit Sirup getränkt war und ein bisschen nach Rosen duftete. Als einer der Dschinns noch ein Glas Ziegenmilch und eine Schale Datteln neben sie auf die Fensterbank stellte, war Kiana im Paradies.
Die Greisin betrachtete sie nachdenklich. „Töchterchen, mich überrascht so schnell nichts mehr, aber ich muss dir sagen, dir ist das gelungen. Dass du es tatsächlich geschafft hast, deine Mutter aus Damons habgierigen Klauen zu befreien, war ein Meisterstück, das dir keiner zugetraut hat. Ich auch nicht.“
Schnell schluckte Kiana den Bissen, den sie im Mund hatte, herunter, um verwundert fragen zu können: „Aber du hast doch immer gesagt, ich wäre die Geweissagte, die das Schicksal wendet, oder so ähnlich. Also dürfte es dich doch am allerwenigsten überraschen, dass deine Weissagung eingetroffen ist.“
„Mit den Weissagungen ist das so eine Sache , Töchterchen. Manchmal sind sie gestochen scharf, und manchmal spüre ich die Zukunft nur als ein Bündel angedeuteter Kraftströme.“
Angedeutete Kraftströme? Automatisch hatte Kiana angenommen, ihr Schicksal läge vor Fatima genauso offen, klar und deutlich da wie das dieses Familienvaters neulich in der Trüben Welt, den die Seherin davor bewahrt hatte, seine Tochter zu ermorden.
Aber angedeutete Kraftströme?
Fatimas Weissagung hatte Kiana immer die Zuversicht gegeben, dass sie all die unmöglichen Aufgaben, die seit Tagen auf sie niederprasselten, tatsächlich erfüllen konnte. Oft war die Weissagung die letzte Stütze für Kianas Mut gewesen, wenn alle Umstände gegen sie arbeiteten - und das taten die Umstände so gut wie immer. Und diese Stütze drohte nun plötzlich unter ihr wegzubröckeln. „Und wie war es bei mir, geehrte Seherin? Was genau hast du in meiner Zukunft gesehen?“
Die knochige Hand der Greisin tätschelte Kianas Knie. „Meine Weissagung zu zerreden würde bedeuten, deine Möglichkeiten einzuschränken, Töchterchen. Das kann ich dir nicht antun. Sahmaran hat instinktiv gespürt, dass es besser ist, dich den Weg selbst finden zu lassen. Sonst hätte sie dir nie das Rätsel über die neun Teile der Persönlichkeit aufgegeben.“
Kiana spuckte einen Dattelkern aus und legte ihn auf den Glasteller, den Avas Dschinn ihr sofort reichte. „Nur war dieses Rätsel nicht besonders hilfreich. Ich habe meine Mutter nicht über die neun Teile ihrer Persönlichkeit gefunden, sondern weil ich zufällig in die Eherne Festung reingestolpert bin, zu der mich Nesrin geführt hat.“
Ein fast mädchenhaftes Lächeln huschte durch die Runzeln der a lten Frau. „Du hast also noch nicht durchschaut, was letztendlich Sahmarans größtes Geschenk an dich war?“
„Ihr Haar“, musste Kiana zugeben. „Ohne das hätte ich Damon nicht überrumpeln können.“ Eine Welle von Dankbarkeit für Sahmaran durchströmte Kiana. Auf einmal fühlte sie Mitleid mit all den tapferen Schlangen, die allesamt Damons Feuerstrahlen zum Opfer gefallen waren.
Bedächtig rieb Fatima ihr faltiges Kinn. „Allein Sahmarans Haar wäre schon den Besuch bei ihr wert gewesen, nicht wahr? Außer dir und zuvor deiner Mutter hatten sehr wenige das Glück, eines zu erhalten. Es hat deiner Mutter das Leben gerettet, als sie im Kristallgebirge von einer Ghulhorde angegriffen wurde. Aber das Haar war nicht das Einzige, was Sahmaran dir gegeben hat, Töchterchen. Sie hat dir ein weitaus größeres Geschenk gemacht.“
„Und was?“ Kiana rollte ihre verspannten Schultern. „Nesrin und ich haben zwei ganze Tage verschwendet, um nach Qalakar hin und wieder zurück zu reisen. Die erste der Schriftrollen, die wir da unter Lebensgefahr rausgeholt haben, konnte zwar die Stehenden Weisen befreien …“, sie unterbrach sich kurz selbst,
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