Goldfalke (German Edition)
ausbedungen“, ergänzte Ali Shah. „Ava indes erdreistete sich, mir zu erklären, sie stünden nicht zur Verfügung, da sie bereits bewohnt wären. Du musst dringend gegen eine solche Frechheit vorgehen!“
„Ich?“ Kiana begriff noch immer nicht, was sie damit zu tun hatte.
Hatim zeigte die gönnerhafte Geduld eines Erwachsenen, der ein unwissendes Kind belehrt. „Was mein verehrter Freund anzudeuten versucht, ist unsere berechtigte Forderung, unseren besonderen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Das ist doch nicht zu viel verlangt?“
„ Hey, Alter“, mischte sich Nesrin ein, „tickt ihr noch richtig? Der Palast steht kurz vor dem Krieg, und ihr wisst nichts Besseres, als euch über eure Zimmer zu beschweren?“
Säuerlich sah Hatim auf sie herab . „In den Äonen, in welchen wir den Menschen mit Rat und Weisheit zur Seite standen, befand sich die Welt unzählige Male kurz vor, im oder nach dem Krieg. In jedem Jahrhundert mindestens zweimal, in manchen Zeitaltern sogar fast jährlich. Das ist nichts Besonderes. Doch unsere Lage, dreitausend Jahre im Stein gefangen und nun plötzlich ohne Stütze, ohne Platz und entwurzelt zu sein, ist wohl durchaus beachtenswert.“
Nesrin zog eine Schnute. „Ich dachte immer, man nennt euch die Stehenden Weisen und nicht die Durchgeknallten Irren. Wenn euch eure Zimmer nicht passen, dann schlaft eben im Freien wie früher auch! Und jetzt kriegt euch wieder ein und lasst Ki mal was frühstücken!“
Ali Shah wirkte, als würde ihm gleich der Kragen platzen. „Kiana sitzt schon seit einer Stunde beim Frühstück, das ist doch lange genug! Und wir werden seit gestern mit fadenscheinigen Ausreden abgespeist.“
„Oh, Kiana wird für euch sehr viel tun“, hörte man F atimas brüchige, aber durchaus tragende Greisinnenstimme. „Sie wird mit ihren Gefährten und den anderen Palastbewohnern dafür kämpfen, dass ihr dieses Gespräch übermorgen nicht mit Damon führen müsst. Und ihr tätet gut daran, Kiana nach Kräften zu unterstützen, statt sie mit Nebensächlichkeiten aufzuhalten. Oder wie schätzt ihr die Verhandlungsbereitschaft des Schrecklichen Sultans bezüglich eurer Befindlichkeiten ein? Bedenkt, dass ihr jetzt wieder Menschen und somit sterblich seid! Frühere Kriege habt ihr schadlos überstanden. Damit könnt ihr jetzt nicht mehr rechnen.“
„Sterblich!?“, rief Hatim aus. „Bei Marduks Bart, du hast Recht! Das habe ich in dem ganzen Ungemach unserer Entwurzelung noch gar nicht bedacht. Wir sind verwundbar! Oh, was für eine Tragödie!“ Mit beiden Händen strich er sich über seine hohlen Wangen. „Ich fühle es fürwahr, ich fühle, wie ich altere! Was für ein Unglück! Ich muss sofort einen sicheren Ort suchen, wo ich vor allen schädlichen Einflüssen geschützt bin.“ Er eilte los in Richtung Eingangshalle.
Ali Shahs Kopf schnellte zu Kiana . „Wie konntest du uns das antun, Weib?“ Dann folgte er dem Poeten.
Kopfschüttelnd schaute Nesrin ihnen nach. „Die Freiheit hat denen wohl die Birne aufgeweicht.“
„Etwas Verständnis für unsere Lage wäre wirklich nicht zu viel verlangt!“, zischte Tahiramis beleidigt, sprang auf und marschierte ihren Leidensgenossen hinterher.
Maimune atmete hörbar aus. „Die treiben mich noch in den Wahnsinn! Seit Vater unterwegs ist, versuchen Kemal und Tahiramis abwechselnd, die Befehlsgewalt über die Palastkrieger an sich zu reißen. Bakko fühlt sich von seinem eigenen Dschinn verfolgt. Und Basid belästigt jedes weibliche Wesen, das nicht wie die Silberfrau einfach in der Mauer verschwinden kann. “ Ihr Blick wanderte quer durch die Halle zur gegenüberliegenden Wand, wo Basidamesch gerade eine vorbeischlendernde dünne Frau anrempelte, nur um ihr Teeglas, das ihr dabei aus der Hand fiel, ritterlich auffangen zu können. Doch sein offensichtlicher Plan schlug fehl. Trotz seiner Bemühungen fiel das Teeglas auf den Boden.
Und die dünne Frau auch.
Während sich Kiana das Sitzkissen zurechtrückte, das Tahiramis freigemacht hatte, bemerkte sie, dass deren Tablett inzwischen von Avas diensteifrigen Dschinns abgeräumt worden war. So wie ihr eigenes auch.
„Auf jeden Fall“, fuhr Maimune fort, „ist der einzige der Stehenden Weisen, der keinen Ärger macht, der stumme Fischbock.“
Nesrin runzelte die Stirn. „Du meinst den Typen mit dem Fischkopf und dem Schafskörper?“
„Es ist der Körper einer Ziege, aber egal! Er rannte so lange innen an der Palastmauer entlang, bis er das
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