Goldfalke (German Edition)
Mutter finden. Ki ist die Schicksalswenderin, unsere Rettung.“ Dann segelte er in Richtung Eingangshalle, wo „Die Schicksalswenderin, unsere Rettung“ noch immer zu hören war, bis es immer leiser wurde und schließlich ganz verhallte.
„Nesrin!“ Fatima winkte ein Mädchen in einem gelben, knöchellangen Kleid heran. „Kiana, das ist Nesrin. Sie ist in deinem Alter und kann dich hier mit allem vertraut machen. Nesrin, führe Kiana herum, zeige ihr alles, was wichtig ist! Ach ja, und hilf ihr, ihren Dschinn zu finden! Und danach Sahmaran, wie die Herrscherin weise empfohlen hat. Würdest du das für mich tun, Töchterchen?“
Das Mädchen schenkte der alten Frau ein Lächeln , das irgendwie frech wirkte. „Klar, mache ich gern.“
„Gut . Dann werde ich mich jetzt zurückziehen. Und bestellt Sahmaran liebe Grüße! Das heißt, falls ihr sie findet.“ Fatima nahm auf ihrem Teppich Platz. „Und seid vorsichtig! Vor allem du, Nesrin! Halte dich zurück, du weißt warum!“ Der Teppich erhob sich über die Köpfe und glitt davon, drehte sich aber noch einmal um. „Und, Kiana, versuche zur Abwechslung, nichts kaputt zu machen!“ Damit segelte die alte Frau davon.
„Das ist für mich?“ Staunend blickte Kiana auf die Schlafstatt, die in Windeseile von den Frauen des Palastes und einem … Wesen bereitet worden war. Einem sehr dünnen und sehr hellblauen Wesen mit sechs überlangen Armen, die geschickt das Bettlaken spannten.
D ieses Bett war in der Tat etwas anderes als die fadenscheinige Decke, die sich Kiana immer mit Madina teilte. Auch der Pfeilteppich war hergebracht worden. Er lehnte halb zusammengerollt an der Wand. Die Frauen hatten das Zimmer bereits verlassen, nur Nesrin und das hellblaue Wesen leisteten Kiana Gesellschaft.
Kiana seufzte bedauernd. „Leider kann ich hier nicht übernachten, so gern ich das auch tun würde.“
Das langarmige Wesen strich die Bettdecke glatt mit einer fließenden Anmut, die an einen Grashalm in einer sanften Windbrise erinnerte.
„Warum nicht?“ Nesrin holte von ihrem eigenen Bett an der gegenüberliegenden Wand ein Kissen und warf es auf die neu geschaffene Schlafstatt. „Ich teile mein Zimmer gern mit dir, Ki. Ich darf dich doch Ki nennen, oder? Kiana ist okay, nein, mehr noch als okay, sehr schön, aber Ki klingt netter. Ich finde es sehr spannend, dich kennen zu lernen. Ich habe zwar mit Fatima schon oft Reisen in die Trübe Welt gemacht, habe dort auch bei ihren Bekannten einige Jahre gelebt, eigentlich die meiste Zeit, seit ich zehn war, aber nicht da, wo du herkommst, sondern weit im Westen, wo die Leute ganz anders drauf sind. Schau, was ich da Cooles gekauft habe! Na ja, okay, eher durchgeknallt als cool, das gebe ich zu.“ Sie ging zu der mit bunten Edelsteinintarsien verzierten Kommode am Fenster und zog etwas aus der obersten Schublade. Es waren plüschige Schuhe in der Form eines Mauskopfes mit breitem Lachen und riesigen schwarzen Ohren.
Kiana hatte Schwierigkeiten, ihre Zimmergenossin zu verstehen. Denn Nesrin redete schnell. Und mit einem komischen Akzent. Und ihre Wortwahl war sehr eigenartig. Das musste an Nesrins Leben in der westlichen Welt liegen.
Die Mausschuhe verschwanden wieder in der Schublade. „Am liebsten würde ich auch mal hier bei uns in die Trübe Welt reisen, du weißt schon, über das Tor im Bunten Basar, dorthin, wo du herkommst, Ki, aber Fatima lehnt das ab, weil sie sagt, dort würde ich so auffallen wie ein bunt bemaltes Kamel in einer Schafherde. Das will sie sich nicht zumuten, sagt sie. Also, Ki, warum willst du nicht hier übernachten? Gefällt es dir nicht bei mir?“
Kiana brauchte etwas Zeit, um Nesrins sprunghaften Redefluss zu verdauen, und bedankte sich zuerst bei dem langarmigen Wesen, das nun den Raum verließ, bevor sie antwortete: „Doch, es gefällt mir gut. Wirklich sehr gut. Es ist nur …“, unschlüssig ging sie zum Fenster, schaute hinaus auf die Palastgärten und wieder zurück zu dem seltsamen Mädchen, „… ich muss dringend wieder zurück in die Wirklichkeit.“
Nesrin runzelte die Stirn. „Die Wirklichkeit?“ Ihr herzförmiges Gesicht wurde beherrscht von großen braunen Augen und umrahmt von einer Vielzahl langer schwarzer Kringellocken. Das gab ihr etwas Kindliches, trotz der erkennbaren weiblichen Rundungen ihrer zierlichen Gestalt.
„Ich meine das“, erklärte Kiana, „was ihr die Trübe Welt nennt. Gerade in diesem Moment finden dort Verhandlungen über meine
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