Goldfalke (German Edition)
an Panik mitschwang: „Wie soll ich das schaffen? Jeder von euch hier wäre besser geeignet. Warum ausgerechnet ich?“
„Gerade du !“, meinte ein breitschultriger Mann schräg rechts von ihr. „Damon kennt jeden erwachsenen Bewohner des Schimmernden Palastes. Keiner von uns gelangt auch nur in Damons Nähe, ohne erkannt zu werden. Wenn überhaupt einer an ihn herankommt, dann jemand, den er nicht als Bedrohung wahrnimmt. Jemand wie du.“
„Du darfst dich jedoch außerhalb des Palastes unter keinen Umständen als Elinas und Ruperts Tochter zu erkennen geben“, warnte Ava. „Außer natürlich bei deinem Besuch morgen bei Sahmaran. Damon weiß nämlich von deiner Existenz. Deshalb haben wir dich ja nach dem Tod deiner Eltern …“
Fatima unterbrach: „Du meinst: nach dem Tod ihres Vaters und dem Verschwinden ihrer Mutter.“
Ava neigte den Kopf. „Na schön, nach ... diesem Verlust h aben wir dich in die Trübe Welt zu deiner Tante gebracht und jede Beziehung zu dir abgebrochen, denn wir befürchteten, dass Damon in seiner Rage dich als das sichtbare Zeichen der Liebe deiner Eltern töten oder zumindest in seine Gewalt bringen wollte.“
Miro krächzte: „Das Gerücht über seine diesbezügliche Absicht hielt sich hartnäckig im Bunten Basar.“
„Hartnäckig genug, um es ernst zu nehmen. “ Ava deutete auf die alte Frau neben sich. „Grenzgänger wie Fatima, die Tore zwischen den Welten errichten können, sind sehr selten. In der Trüben Welt warst du also in Sicherheit, Kiana. Jeder von uns verpflichtete sich, jedweden Kontakt mit dir und somit jede Spur zu dir zu vermeiden, nur für den Fall, dass Damon doch einen Grenzgänger auftreiben und sich zu Willen machen konnte. Vorher jedoch gaben wir einen nicht unerheblichen Teil vom Gold deiner Mutter an deinen Onkel Abdullah, woraufhin er und deine Tante sich bereit erklärten, dich aufzunehmen. Das Gold reichte nicht nur für deinen Unterhalt und für deine Schul- und Universitätsausbildung. Mit dem Rest konnte Abdullah eine Fleischerei errichten.“
Alles, was hier geredet wurde, widersprach allem, was man Kiana sechzehn Jahre lang erzählt hatte. Schule? Universitätsausbildung? Nach Onkel Abdullah besaß ein Mädchen zu wenig Wert, als dass sich die Mühe einer Schulbildung lohnte. Wo das Geld ihrer Eltern geblieben war, konnte sich Kiana allerdings gut vorstellen. Etwa in dem Kaufhaus, in das Onkel Abdullah investiert hatte und das pleite gegangen war. Oder in der Opiumernte, die er den Rustamis abgekauft hatte. Sie war von einer ausländischen Polizeieinheit abgefangen worden, noch bevor er sie hatte weiterverkaufen können. Nur durch reichlich Schmiergeld waren die örtlichen Behörden gewillt gewesen, seinen Namen und den der Rustamis aus der Sache heraus zu halten. Onkel Abdullah hatte schon immer merkwürdige Geschäfte getätigt, seit Kiana denken konnte. Und nur wenige davon hatten Gewinn abgeworfen, wenn auch immer nur einen bescheidenen.
D as Wichtigste aber von allem war: Ihre Eltern hatten sie nicht verlassen. Ihre Mutter war keine verantwortungslose Hure, wie Onkel Abdullah immer behauptete. Und dass Kiana von ihm in sein Haus aufgenommen worden war, hatte nichts - rein gar nichts - mit seiner Herzensgüte und seiner Großzügigkeit zu tun.
Kiana wurde von Ava aus ihren Grübeleien herausgerissen: „Dass du es, wie Fatima uns berichtete, bei deiner Tante nicht besonders gut hattest, tut uns Leid. Aber wenigstens kam Damon nicht an dich heran.“
„H eißt das nicht auch, dass Ki jetzt, da sie die Trübe Welt verlassen hat, nicht mehr vor ihm sicher ist?“, äußerte Nesrin.
„Sie ist sicher, solange kein Hinweis auf ihre Her kunft diese Mauern verlässt.“ Ava wandte sich dem Geier zu. „Nicht wahr, Miro?“
Der Ausschreier hob seinen linken Flügel an. „Mein Mund ist versiegelt.“ Zur Bekräftigung dieser Worte legte er sich seine drei äußersten Schwungfedern über den Schnabel.
„So, nun ist es aber spät“, meinte die Haushofmeisterin. „Kiana, du musst morgen ausgeschlafen sein, wenn du dich auf den Weg zu Sahmaran machen willst.“
Ermutigt davon, dass ihre Worte von den hochrangigen Leuten hier ungestraft geduldet wu rden, stellte Kiana ihre nächste drängende Frage: „Wie soll ich Sahmaran überhaupt finden? Selbst wenn ich wüsste, wer oder was Sahmaran ist, wäre das für mich unmöglich!“
„ Das Wort unmöglich ist ein Hammer, der viel zu oft geschwungen wird, meine Tochter“, sagte Ava.
Weitere Kostenlose Bücher