Goldfalke (German Edition)
jeden Fall hätte ich mir nie vorstellen können, dass es ein einfaches Holzstäbchen mit der Kraft eines ausgewachsenen Dschinns aufnehmen könnte, aber es ist tatsächlich so.“
„ Beachtlich fürwahr“, krächzte der Geier und trat von einem Bein aufs andere. „Ich beneide dich um das, was du dort alles gesehen und erlebt hast, weitgereiste Schwester. Du warst über ein Jahr dort, wie ich hörte.“
„Ja. D ie Lehrer dieser Schule haben mich dazu überredet, dort zu unterrichten. Umgekehrt habe ich von ihnen sehr viel über Zaubertränke gelernt.“
„Und wie hat Rupert Elina getroffen?“, hakte Nesrin beharrlich nach.
„Keine Sorge, Töchterchen“, entgegnete Fatima. „Du bekommst schon noch deine Liebesg eschichte. Rupert war so neugierig, unsere Kultur kennen zu lernen, dass er die Schulleitung gebeten hat, ihn auf eine Studienreise in den Orient zu schicken. Während ich also dort in dem kalten Land an Ruperts statt unterrichtete, hat er die Reise zum Schimmernden Palast angetreten.“
Ava schmunzelte. „Oh, ich erinnere mich, als er bei uns ankam mit nichts bei sich außer se inem Zauberstab, seinem Lächeln und deinem Empfehlungsschreiben. Elina und er haben sich sofort ineinander verliebt. Es war herzerwärmend, den beiden zuzusehen, wie sie sich anschauten, wie sie händchenhaltend durch die Palastgärten spazierten. Bald kamst du zur Welt, Kiana, und das Glück der beiden schien vollkommen.“
„Und dann?“, fragte Nesrin g espannt.
Schlagartig wurden Avas Augen traurig. „Elina war eine schöne Frau, für die nicht nur Rupert entbrannte. Auch Damon, der Löwen-Sultan, zeigte deutliches Interesse an ihr. Doch sie hielt Rupert die Treue. Eines Tages ließen Rupert und Elina dich, Kiana, in meiner Obhut, um in den Bergen nach Zauberkräutern zu suchen. Was dann wirklich passierte, weiß keiner. Wir fanden nur Ruperts Leiche. Die tödlichen Bissverletzungen, die er aufwies, konnten nur von Damons Löwen-Dschinn stammen, denn mit einem einfachen Raubtier wäre Rupert leicht fertig geworden. Doch gegen Damons mächtigen Dschinn hatten Rupert und Elina keine Chance, jung und unerfahren, wie sie waren. So hat sich mit einem Schlag zum Schändlichen gewandelt, was seit Tausenden von Jahren der Inbegriff des Kraftvollen und Guten war und wohl auch Damon einst beeinflusst hat, seinen Dschinn nach diesem Ideal zu formen. Das Symbol des Löwen wird niemals mehr dasselbe sein.“
„Und was war mit meiner Mutter?“ Obwohl niemand sie zum Reden aufgefordert hatte, kam das wie von selbst aus Kiana heraus.
Die Haushofmeisterin senkte den Kopf. „Man hat weder sie noch ihren Dschinn jemals gefunden. Zuerst dachten wir, Damon hätte sie entführt, aber nachdem bis zum heutigen Tag niemand ein Lebenszeichen von ihr erhaschen konnte, mussten wir uns der Tatsache stellen, dass sie nicht mehr am Leben ist. Es tut mir sehr Leid, Kiana. Mehr als du ahnst.“
„Es ist nicht sicher, dass sie tot ist“, widersprach Fat ima. „Ich war zwar damals nicht dabei, aber ich bin davon überzeugt, dass es niemals Damons Absicht war, sie zu töten, sondern nur, sie in seine Gewalt zu bringen.“
„Ja“, entgegnete die Haushofmeisterin. „Aber Elina hat die Ermordung ihres Mannes bestimmt nicht kampflos hingenommen. Damon war vermutlich gezwungen, auch sie zu töten, um nicht selbst zu Schaden zu kommen.“
Fatima hielt dagegen: „ Und warum hat man nie ihre Leiche gefunden?“
Ava konterte: „Das Gebirge ist groß und zerklüftet. Manch einer ist dort schon verschwu nden.“
„ Soraya glaubt auch, dass Elina noch lebt. Sonst hätte sie Kiana nicht auf die Suche nach ihr geschickt.“
„ Selbst du, Seherin, hast nach deiner Rückkehr keinen einzigen Hinweis auf ihren Verbleib gefunden. Trotz deiner Visionen und deiner Fähigkeit, durch die Zeit zu reisen.“
„Meine Fähigkeit, die Zeiten zu wählen, durch die ich reise, beschränkt sich nur auf die Trübe Welt, wie du sehr wohl weißt. Hier bei uns kann ich mich nur im Jetzt bewegen. Und meine Visionen kommen von selbst oder gar nicht. Ich kann sie nicht erzwingen.“
„Wäre Elina noch am Leben“, beharrte Ava, „hätte sie sicher eine Möglichkeit gefunden, uns über welchen Umweg auch immer ein Lebenszeichen zukommen zu lassen. Gerade eine so einfallsreiche Frau wie sie hätte in all den Jahren einen Weg gefunden.“
„Nicht wenn Damon sie unter dem Lähmenden Schleier gefangen hält.“
„Der Lähmende Schleier ist nur ein Mythos“,
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