Goldfalke (German Edition)
unaufdringlich, aber mit kaum gebändigter Neugier. „Wo sind eigentlich die Kinder? Essen sie woanders?“
Nesrin trank einen Schluck Milch. „Aus Rüc ksicht auf die Kräfte der Herrscherin haben die Leute hier beschlossen, keine Kinder in die Welt zu setzen, bis es Soraya wieder besser geht. Damit sie nicht noch mehr Quellwasser fließen und Zeug wachsen lassen muss und solche Sachen.“
„Warum hängt hier alles Wachstum von der Her rscherin ab? Warum wachsen die Pflanzen nicht alleine wie woanders auch?“ Kiana biss in das noch warme Brot. Es war köstlich.
„Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es nach dem Verbrechen an deinen Eltern zum Krieg gekommen ist, bei dem Damon und seine Leute den Schimmernden Palast bis auf die Grundmauern niedergebrannt haben. Soraya hat daraufhin irre magische Kräfte entfesselt, die den ganzen Palast in einem einzigen Augenblick wieder aufgebaut haben. Und die zugeschütteten Quellen lieferten wieder reines Wasser. Cool, was? In einem einzigen Augenblick! Ist wahrscheinlich übertrieben, aber so erzählen es alle im Bunten Basar. Seitdem ist alles hier an Soraya gebunden. Irgendwie. Frag mich nicht, wie das funktioniert. Das können wir mal bei Gelegenheit die Stehenden Weisen fragen.“
Was war denn das jetzt schon wieder? „Wen?“
„Die Stehenden Weisen. Sie wissen einfach alles.“ Nesrin tunkte ein Stück Brot in den Dotter ihres Spiegeleis. „Auf jeden Fall ging das Ganze über Sorayas Kräfte. Seitdem ist sie krank, wird immer schwächer, hält sich aber so recht und schlecht aufrecht.“ Sie wiegte den Kopf hin und her. „Na, gut, aufrecht ist übertrieben.“
„Warum haben hier im Palast die Menschen eigentlich nur Vornamen? Sogar die Königin redet jeder mit Vornamen an.“
„Weil wir hier keine Familienn amen brauchen. Bei uns wird jeder nach dem beurteilt, was er selber drauf hat, und nicht nach dem, was seine Familie macht. Na ja, im Großen und Ganzen. Wenn Namen doppelt vorkommen, was ja oft passiert, dann benennt man den Betreffenden eben nach seinem Beruf oder einer besonderen Fähigkeit, zum Beispiel Fatima, die Grenzgängerin.“ Sie legte den Kopf schief und tippte mit ihrem Zeigefinger an ihr Kinn. „Obwohl Fatima ein schlechtes Beispiel ist, denn die hat so viele Talente und Beinamen wie die Seherin, die Weitgereiste und so weiter, dass das auch zu Verwechslungen führen kann. Diejenigen von uns, die ab und zu in die Trübe Welt gehen, legen sich dort erst einen Nachnamen zu.“
Ava trat auf die Terrasse und reichte den Mädchen zwei gefüllte Stofftaschen mit langen Henkeln, die man sich umhängen konnte. „Euer Reiseproviant. Vergesst nicht, eine Kopfbedeckung zu tragen, damit euch die Sonne nicht so zusetzt! Und, Nesrin, du hältst dich bei Sahmaran zurück, sagst aber Kiana vorher alles, was sie wissen muss! Sicher ist sicher. Kiana, grüße Sahmaran von uns allen, ja? Und trödelt nicht herum, der Weg ist lang!“
Die Haushofmeisterin wartete, bis beide Mädchen ihr versprochen hatten, ihren Anordnungen haargenau Folge zu leisten, bevor sie fortfuhr: „Dann geht mit unser aller Segen, meine Töchter! Möge eure Reise von Erfolg gekrönt sein.“ Damit wandte sie sich um und kehrte zurück in die Küche.
Nesrin legte ihre Hände mit den Handflächen nach oben auf den Schoß, schloss die Augen und öffnete sie sofort wieder. Und hielt ihren Dschinn in ihren Händen. Er war einfach erschienen. Als hätte die Luft sich verdichtet und das Kätzchen einfach ausgespuckt.
„Wie machst du das immer?“, fragte Kiana beeindruckt.
In ihrer üblichen unbekümmerten Art zuckte ihre Freundin die Schu ltern. „Das wirst du auch auf die Reihe kriegen, wenn du dich erst an deinen Dschinn gewöhnt hast.“ Sie flüsterte etwas ins Ohr des Kätzchens, woraufhin es losrannte und in der Küche verschwand.
„Wohin hast du ihn geschickt?“, e rkundigte sich Kiana.
„Er ist übrigens eine Sie. Baski wird unsere Teppiche und ein paar Schals holen. Dann können wir gleich von hier losdüsen.“
„Aber wir können noch nicht weg!“
„W arum nicht?“
„Ava hat mir gestern versprochen, mir eine eurer besten Zauberinnen zur Seite zu stellen. Wir sollten auf sie wa rten.“
Nesrin hob eine Hand vor ihren Mund und k icherte hinein. „Du bist echt witzig, Ki! Ava meinte mich damit. Traust du mir das etwa nicht zu?“
„Oh, doch schon, ich meine … ich dachte nur …“
„Ki, ich wurde für dich nicht nur deshalb ausgewählt, weil wir im
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