Goldfalke (German Edition)
Zwillinge sind. Ihre Dschinns gleichen sich so sehr, dass ich sie nicht auseinander halten kann. Die haben sie sich als Trainingspartner rangezogen.“
Als Kiana näher herankam, konnte sie in der Tat sehen, dass zwei der Kämpfenden keine Menschen waren. Denn sie hatten Krummsäbel als Arme. Und die Klingen sahen messerscharf aus.
Während des gesamten Vormittags machte Nesrin Kiana mit der ganzen Palastjugend bekannt und raunte ihr dabei ein paar sachdienliche Hinweise zu, beispielsweise dass Zillah die besten Witze erzählte, dass Achmed einen „knackigen Hintern“ hatte oder dass Mirdschan rülpsen konnte „wie zehn Kameltreiber nach einem Saufgelage“.
Kiana schwirrte der Kopf vor lauter Namen. Wenigstens musste sie heute nicht mit dem Teppich fliegen. Muskelkater lastete bleischwer in ihren Armen. Und immer mehr auch in ihrem Hirn.
Auf der Suche nach Gleichaltrigen durchstreiften sie die meisten Stockwerke und die meisten Türme des Palastes. Kiana kam gar nicht heraus aus Staunen und Bewunderung und Ehrfurcht angesichts der überragenden Kunst, die sich in all den bunten Wandfliesen, den Stuckarbeiten, den Statuen und Teppichen zeigte. Jede kleinste Einzelheit war mit unglaublicher Sorgfalt verziert. Wochen hätte Kiana hier verbringen können und hätte sich doch nicht satt gesehen. Während Nesrin achtlos durch die Gänge eilte, wäre Kiana am liebsten hingerissen auf den Diwan in dieser Seitennische niedergesunken, vor Störungen geschützt durch einen herrlichen Raumteiler aus Marmor, der von hauchdünn ausgefrästen Ornamenten in drei Lagen durchlöchert war. Je nach Blickwinkel ergaben sich unterschiedliche Muster. Aus einer Blumenranke wurde ein Vogelschwarm, wenn Kiana sich nach rechts bewegte, aus Blättern wurden Fische und dann wieder abstrakte Ringstrukturen, wenn sie in die Hocke ging. Alles war so hauchdünn aus dem Marmor gefeilt, dass dieser zart wie Papier wirkte.
Und erst die zahlreichen Türme des Palast es! Jeder war einzigartig in seiner Form, Größe und auch in seiner künstlerischen Gestaltung. Die Innenwand des einen war mit großflächigen Wandteppichen behangen, die des anderen schmückten blaue Fliesen mit bunten Tiermotiven, ein weiter besaß ausschließlich Wandgemälde.
In de n Turm, aus dem Farid gesprungen war, gelangten sie bei ihren Erkundungen nicht. Wohnten dort außer ihm keine jungen Leute? Keinesfalls wollte Kiana Nesrin danach fragen. Das hätte womöglich den Eindruck erweckt, sie würde an ihn denken. Was natürlich nicht der Fall war.
Hoffentlich ließ sich das Loch reparieren, das der Kükenschnabel in Farids Teppich hinterlassen hatte. Und wenn nicht, dann war es die gerechte Strafe für Farids ungeheuerliche Frechheit, Kiana im Bad gesehen zu haben, als die Wand durchsichtig war.
„Was?“ Irgendwie hatte sie das Gefühl, etwas übe rhört zu haben.
„Ich sagte, wir sollten erst mal was zu Mittag essen, bevor wir zu den Stehenden Weisen gehen“, wiederholte Nesrin. „Denn der Besuch bei ihnen kann sich hinziehen.“
„Warum? Wohnen die weiter entfernt? Müssen wir fli egen?“ Unwillkürlich rollte Kiana ihre schmerzenden Schultern.
„Nein, aber bei denen quatscht man sich immer ewig fest. Du wirst es ja selber erleben. Sage nicht, ich hätte dich nicht vorgewarnt!“
Kiana folgte ihr er Führerin über eine Art Brücke, die in Höhe des zweiten Stockwerks den Wandfliesen-Turm mit dem Hauptgebäude verband. Allein diese Brücke, so praktisch sie schien, stellte wiederum ein Meisterwerk dar, umarmt von bienenumsummten Weinranken, überdacht mit einem Baldachin aus blassrosa Marmor und flankiert mit zahlreichen zierlichen Säulen.
Zielstrebig steuerte Nesrin die nächste Treppe hinab zur Palastküche, wo wie immer reger Betrieb herrschte. Drei von Avas Dschinns und eine Köchin werkelten geschäftig den Anweisungen der Haushofmeisterin hinterher.
Sofort entdeckte Ava die Neuankömmlinge. „Schön, euch zu sehen, meine Töchter! Wie ich hörte, habt ihr euch schon mit fast allen Gleichaltrigen unterhalten. Habt ihr bereits eine Wahl getroffen?“
Kiana grüßte höflich, bedankte sich für das Tablett, das Ava ihr gab, und packte es mit ihrer freien Hand. „Nein, wir haben uns noch nicht entschieden.“
Die Haushofmeisterin versorgte auch Nesrin mit eine m Tablett. „Ihr habt ja noch bis heute Abend Zeit.“
„Liebste Ava, ich hätte da eine Bitte“, äußerte Nesrin in schmeichelndem Tonfall.
Ein nachsichtiges Lächeln erhellte
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