Goldfalke (German Edition)
brachte sie zerknirscht hervor: „Es tut mir Leid!“
Dann rief sie sich ins Gedächtnis, dass demütig niedergeschlagene Augen, für Frauen in der Trüben Welt zwingend vorgeschrieben und hart eingeschliffen, hier mit Befremdung angesehen wurden. So überwand sie ihre Erziehung und sah zu Prinz Farid auf. „Es tut mir sehr Leid. Ich wollte das nicht.“
Er schaute ihr so intensiv ins Gesicht, dass ihr schwindlig wurde, dann bewegten sich seine Mundwinkel zu so etwas wie … einem Lächeln?
Ja. Es war schon irgendwie ein angedeutetes Lächeln, wobei in Farids Augen gleichzeitig etwas Durchtriebenes aufglimmte. Diese Augen, die so außergewöhnlich silbergrau schimmerten wie seine Kleidung, sein Gürtel und sogar sein Teppich, schwenkten zum Palast und wanderten an dessen Fassade hoch.
Kianas Verwunderung schlug um in Neugierde , die ihren Blick dem des Prinzen hinterher trieb. Doch am Palast gab es nichts zu entdecken, was sonst nicht auch dort zu sehen war. Lag da nicht irgendwo Nesrins Zimmer? Ja, genau. Die Wand sah wieder nach ganz normalem Marmor aus, als wäre sie nie durchsichtig gewesen.
D urchsichtig!
Von jenem Fenster aus, durch das der Prinz vorhin so aufsehenerregend gesprungen war - sein Zimmer? - hatte man eine gute Sicht auf Nesrins Bad. Kianas Augen schnellten zurück zu Farid.
Sein unverschämtes Grinsen schleuderte ihr einen riesigen Schwall an Peinlichkeit ins Gesicht. Farid ließ seinen Teppich zu Boden gleiten und sank mit einer eleganten Bewegung im Schneidersitz darauf nieder. Während die aufflammende Hitze in ihrem Inneren Kianas Wangen rötete und, wie es sich anfühlte, auch ihre Eingeweide röstete, drehte sie sich um und ging. Egal wohin.
Hauptsache fort!
„He y, warte doch, Ki!“ Nesrin holte sie ein, als sie bereits den Rosengarten erreicht hatte. „Was ist denn los? Was hat Farid dir an den Kopf geworfen, dass du gleich flüchten musst?“
„Er hat meinen Dschinn einen Witz von einem Dschinn genannt.“
Nesrins Brauen hoben sich. „Oh, hat er das? Wo das doch so völlig aus der Luft gegriffen ist!“
„Und er hat mich vorhin nackt im Bad ges ehen.“
„Das hat er dir gesagt?“
„Nein, aber er hat so getan, als hätte er mich ges ehen.“
„ So getan? Wie soll das denn gehen? Wo willst du überhaupt hin?“
„Nur weg von Prinz Farid und all den anderen Leuten, die durch meinen Dschinn belästigt wu rden.“
„ Nimm’s locker, Ki! Wenigstens hat dein Dschinn bewiesen, dass er ein Treffer ist. Denn er hat das Blatt getroffen, oder nicht? Hier, nimm dein Honigbrot! Du hast kaum davon gegessen.“
Weniger aus Appetit, mehr aus dem Pflichtbewusstsein heraus, kein Lebensmittel umkommen zu lassen, hielt Kiana an, nahm ihren Dschinn in die linke Hand und griff mit der rechten nach dem Brot, das Nesrin ihr reichte. „Danke.“ Kiana biss hinein und ging langsamer weiter. „Warum müssen mir immer die peinlichsten Missgeschicke passieren, wenn Prinz Farid da ist?“
„Das bildest du dir nur ein.“ Nesrin schlenderte neben ihr her. „Es ist eher so, dass dir auch ohne ihn ständig die peinlichsten Missgeschicke passieren. Sie kommen dir nur schlimmer vor, wenn er zuschaut. Warum eigentlich? Du stehst doch nicht auf ihn, oder?“
„Was meinst du mit: auf ihn stehen?“ Manchmal hatte Kiana noch immer Schwierigkeiten, Nesrins fremdländische Wortwahl zu verstehen.
Nesrins Kopf wackelte hin und her. „Ob du in ihn verliebt bist, ihn heiß findest und so weiter.“
„Nein, natürlich nicht!“ Absolut undenkbar!
„Dann ist es ja gut. Wenn wir hier schon so herumspazieren, kann ich auch gleich meinen Job machen und dir ein paar Jugendliche zeigen. Sieh mal, da ganz hinten an der Palastmauer trainieren Murat und Maimune.“
Rasch leckte Kiana den Honig von ihrer Hand, wischte sich über den Mund, um auch dort mögliche Honigspuren zu beseitigen, und folgte Nesrin zu vier Gestalten, die mit Säbeln aufeinander eindroschen.
„ Die beiden sind Zwillinge“, erzählte Nesrin. „Zweieiige natürlich, denn sie sind ja ein Junge und ein Mädchen. Sie trainieren Tag und Nacht, um bei den Palastkriegern aufgenommen zu werden. Darauf bilden sie sich mächtig was ein. Ihren Vater kennst du schon: Befehlshaber Kassim.“
E in Mädchen, das so gut wie ihr Bruder kämpfte, war nach wie vor etwas sehr Ungewohntes für Kiana. „Und wer sind die anderen beiden Kämpfer?“
Nesrin lachte auf. „Das sind ihre Dschinns. Daran sieht man schon, dass Maimune und Murat
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