Goldfalke (German Edition)
zurückgreifen könntet! Da befällt mich ein sorgenvoller Gedanke.“ Sein Kopf senkte sich nach vorn und pendelte an dem langen Hals von einer Seite zur anderen. „Kann ich euch überhaupt so lange allein lassen, ohne dass hier alles dem Verfall anheimfällt?“
Nun schlug Sayed einen Befehlston an, der alle Anwesenden zusammenzu cken ließ: „Flieg los!“
Sofort hob sich Miro mit einem schwungvol len Flügelschlag in die Luft. „So gehabt euch denn wohl!“, schrie er, als er in die Höhe stieg. Bald sah man nur noch einen Punkt in blauer Ferne.
Auf einmal erschien neben dem Großwesir ein … Rauch. Gelber Rauch. Eine Menge gelber Rauch. Rauch, der sich drehte, verzwirbelte, sich schließlich zu Sayeds riesenhaftem Dschinn verdichtete, sich verneigte und sprach: „Ich höre und gehorche, Meister. Was wünschest du?“
„ Verstärke während meiner Abwesenheit die Wache am Haupttor!“, befahl der Großwesir.
Der gelbe Riese verneigte sich erneut und löste sich auf. Sein Meister wandte sich an die Mädchen: „Wählt euren Begleiter mit Bedacht, meine Töchter!“ Dann ging er mit den Männern der Palastwache fort.
Kiana stand noch immer unter dem Eindruck des Ehrfurcht gebietenden gelben Riesen. „Genau so habe ich mir immer einen Dschinn vorgestellt.“
Genießerisch leckte sich Nesrin einem Tropfen H onig vom Finger. „Ja, Sayeds Dschinn ist echt so was von retro mit dieser Ich-höre-und-gehorche-Meister-Nummer. Aber ein sprechender Dschinn ist schon cool, was? Nur wenige können das. Ich hab versucht, Baski das Sprechen beizubringen, aber die hat mich nur angeschaut, als wäre ich bescheuert. Aber wenigstens kann sie fauchen und miauen.“
Während sie den Rest ihres Frühstücks verzehrten, wechselte Nesrin das Thema und lästerte fortan über verschiedene Jugendliche, die alle in ihren Augen nicht geeignet waren, als Mitstreiter zu dienen. „Oh, nimm auf keinen Fall eine von denen da drüben!“ Nesrin schaute hinüber zu zwei Mädchen, die zwischen einem kräftigen Mann und einer Frau mit mandelförmigen Augen saßen. „Das musst du mir versprechen, Ki! Die würden uns den letzten Nerv rauben.“
So unauffällig wie möglich b etrachtete Kiana die zwei. Sie waren in Kianas Alter, wie der Großwesir gefordert hatte. Und ausgesprochen hübsch. Alle beide. So hübsch, dass Kiana ihnen am liebsten zehn Burkas übergeworfen hätte, um sich in ihrer Anwesenheit nicht ganz so unzulänglich zu fühlen. Beide hatten sich fast noch aufwändiger zurechtgemacht als Nesrin. Sie trugen zarte Gewänder, die eine in Hellblau, die andere in Violett, und viel Schmuck, der in der Morgensonne glänzte. Sogar Augen-Makeup. Was jedoch den Eindruck von vollkommener Schönheit trübte, war ihr dümmliches Kichern, wie Kiana dankbar feststellte. „Was hast du gegen die beiden, Nesrin?“
„ Sie sind einfach nervig und haben nur eins im Kopf.“
„Und was?“
„Das da.“ Nesrin deutete nach oben, wohin der Blick der beiden kichernden Mädchen gerichtet war. Direkt unter dem Zwiebeldach des höchsten Palastturms hatte sich eines der Fenster geöffnet. Jemand warf einen Teppich aus diesem Fenster. Einen Wimpernschlag später sprang Farid hinterher.
Vor Schreck a ufkeuchend verschüttete Kiana ihren Tee, während Farid mit beiden Beinen auf dem voraus geworfenen Teppich landete und elegant zu Boden segelte. Wie auf einem schwebenden Floß.
„Angeber!“, schnaubte Nesrin .
Die beiden Schönheiten in Hellb lau und Violett seufzten hingerissen, als der Prinz sanft am Rand der Terrasse landete, dabei Avas Dschinn herbeiwinkte und sich im Schneidersitz auf seinem Teppich niederließ.
Langsam setzte bei Kiana wieder so etwas wie A tmung ein. „Warum nimmt er überhaupt den Teppich zum Fliegen?“, raunte sie ihrer Freundin zu. „Warum hat er sich nicht einfach in seinen Höllenvogel-Dschinn verwandelt?“
Der Blick, den Nesrin in Farids Richtung warf, war nicht die Spur bewundernd. „Die Verschmelzung mit seinem Dschinn schlaucht ihn immer ziemlich. Daher macht er das nicht so oft. Falls du andenkst, ihn als unseren Dritten im Team zu wählen, dann vergiss es! Farid ist echt schräg. Und Damon ist immerhin sein Vater. Wer weiß schon, was da für eine Vater-Sohn-Kiste läuft?“
„Keine Sorge, ich würde ihn nie wählen.“ Kiana konnte sich sowieso nicht vorstellen, dass Farid für sie auch nur den kleinen Finger rühren würde. Außerdem hatte Nesrin Recht: Er war … schräg. Und irgendwie
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