Goldfasan
»Ich wusste nich, wie ich dich erreichen konnte. Meiner Mutter konnte ich schlecht von dem Auftrag erzählen. Und Manni wollte doch schon immer …« Tränen stiegen in seine Augen. »Wat sollte ich denn machen? Ich hatte doch keine Ahnung, dat dat passieren würde. Sonst wär ich selbst … Hätte ich nur nich …«, stammelte er.
Der Rote griff seinen Arm. »Beruhige dich. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Manni hat den Auftrag korrekt ausgeführt. Leider hat er die Nerven verloren, als die Gestapo plötzlich auftauchte. Das Paket war zu diesem Zeitpunkt schon längst übergeben und unser Kurier über alle Berge. Wäre dein Freund stehen geblieben und hätte sich kontrollieren lassen, wäre vermutlich nichts passiert. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen.«
Der Versuch des Roten, ihn zu trösten, erschien Erwin zu durchsichtig. Der Rote konnte sagen, was er wollte, aber wenn er selbst vor Ort gewesen wäre, würde Manni noch leben und nicht in einer Holzkiste liegen.
»Ich werde heute noch aus der Gegend verschwinden. Aber eins solltest du wissen: Wenn du zukünftig einen Auftrag übertragen bekommst und ihn, aus welchen Gründen auch immer, nicht ausführen kannst, informierst du zuerst deinen Kontaktmann. Ist das nicht möglich, unternimmst du nichts. Absolut nichts. Hast du das verstanden?«
Erwin nickte.
Der Rote hob den rechten Arm, um seinen wartenden Genossen heranzuwinken. »Ansonsten ist bei dir alles in Ordnung?«, fragte er dann und musterte Erwin aufmerksam.
Erwin wischte sich über die Wangen. »Allet klar. Ich weiß, wat ich zu tun hab.«
25
Donnerstag, 8. April 1943
L emberg, das auf Polnisch Lwów hieß, war Ende Juni 1941 von der Wehrmacht besetzt worden, ohne dass diese auf nennenswerten Widerstand gestoßen war. Entsprechend wenige Gebäude waren zerstört worden. Selbst der Hauptbahnhof mit seinen von Glaskuppeln überspannten Bahnsteigen war weitgehend intakt.
Wieland Trasse atmete auf, als der Zug am frühen Nachmittag sein Ziel erreichte. Er hatte fast achtundvierzig Stunden in diesem Zug gesessen, der ein paarmal wegen zerstörter Gleisanlagen umgeleitet worden und einmal sogar das Ziel eines Tieffliegerangriffs gewesen war. Mehrmals war er von Wehrmachts- und SS-Streifen bei außerplanmäßigen Aufenthalten des Zuges kontrolliert worden. Er als Zivilist erweckte das Misstrauen dieser Leute. Je weiter die Fahrt nach Osten ging, desto weniger Beachtung fand die von einem Gauleiter der NSDAP weit im Westen ausgestellte Reiseerlaubnis, die er sich dank seiner Beziehungen hatte besorgen können. Bei einer der letzten Kontrollen entging Wieland Trasse einer Festnahme nur, weil sich der Streifenführer als bestechlich erwies. Als Zivilist galt man augenscheinlich nur dann etwas, wenn man eine Marke des Reichssicherheitshauptamt mit sich herumtrug.
Trasse begab sich zu einer Wehrmachtsdienststelle im Hauptbahnhof, zeigte seine Papiere nebst Reiseerlaubnis und bat um die Ausstellung eines Passierscheins für die Stadt. Ein Wehrmachtsoffizier drückte ihm nach kurzem Hin und Her das Dokument in die Hand und beschrieb ihm den Weg.
Die Verwaltung des Distrikts Galizien befand sich im historischen Rathaus der Stadt, einem neoklassizistischen Bau, dessen Glockenturm weithin sichtbar war und Trasse die Orientierung dorthin erleichterte. In den Straßen patrouillierten Wehrmacht, Waffen-SS und ukrainische Hilfstruppen.
Trasse fragte sich bis zu Knut Lahmer durch, der sein Büro in einem Nebentrakt des Gebäudes hatte.
Lahmer erwartete ihn bereits. Die Schulterklappen auf seiner Wehrmachtsuniform gaben Auskunft über den Dienstgrad: Major. Lahmer war nicht allein. Neben ihm stand SS-Sturmbannführer Wolfgang Müller.
»Einen weiten und nicht ungefährlichen Weg haben Sie auf sich genommen, Herr Trasse«, meinte Lahmer und bot seinem Gast eine Tasse Kaffee an. »Wäre es nicht einfacher gewesen, wir hätten die noch offenen Fragen fernmündlich besprochen?«
»Und wir eigentlich doch schon alles mit Ihrem Schwiegersohn geregelt haben«, ergänzte Müller.
Lahmer zog eine Kognakflasche aus einer Schreibtischschublade und hielt sie fragend hoch. Trasse lehnte ab. Also schenkte Lahmer nur zwei Gläser ein.
Trasse nahm einen Schluck Kaffee. »Wirklich gut, der Kaffee.« Er stellte die Tasse ab.
Lahmer wirkte misstrauisch. »Wenn Sie den Preis weiter drücken wollen, haben Sie die Fahrt vergebens gemacht. Die Grenze unserer Kompromissbereitschaft ist erreicht. Weniger als
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