Goldfasan
Golsten an die Schreibmaschine und begann, mit zwei Fingern zu tippen.
Als er fertig war, stempelte Golsten ohne große Hoffnung Eilt und Amtliches Schreiben auf den Umschlag. Dann reichte er das Kuvert zur Bearbeitung an die Poststelle weiter.
24
Mittwoch, 7. April 1943
D ie Zahl derer, die gekommen waren, um Manni zu Grabe zu tragen, war nicht groß: seine Mutter, einige nahe Verwandte, wenige Nachbarn, selbstverständlich seine Freunde und zwei Männer in schwarzen Ledermänteln, die niemand kannte, vermutlich von der Gestapo.
Die Mutter, Anne Loobs, musste auf den Beistand ihres Mannes am offenen Grab verzichten. Mannis Vater wusste zwar vom Tod seines Sohnes, aber dessen Vorgesetzte hatten ihm den Heimaturlaub mit der Begründung verweigert, dass in dem Kampf, den das deutsche Volk zu führen habe, jeder Opfer bringen müsse. Ein Soldat habe das Vaterland mit der Waffe in der Hand an der Front zu verteidigen und dürfe sich nicht zu einer Trauerfeier davonstehlen. Außerdem sei Loobs politische Gesinnung, glaube man den vorliegenden Berichten des Reichssicherheitshauptamts, eher zweifelhaft, weswegen er sich zunächst im Kampf zu bewähren habe, bevor er Urlaub gewährt bekäme.
Der Pastor sprach einige nichtssagende Worte über Jugend, frühes Sterben und ewiges Leben.
Schwere Wolken hingen über dem Kommunalfriedhof in Holthausen. Und genau in dem Moment, als der Sarg in die feuchte Erde gesenkt wurde, begann es heftig zu regnen. Regenschirme wurden aufgeklappt, Kragen hochgeschlagen. Diejenigen, die nicht so weitsichtig gewesen waren, selbst Regenschutz mitzubringen, drängten sich unter die Schirme der anderen. Auch die beiden Kerle, die vermutlich zur Gestapo gehörten, hatten keinen Schirm dabei, noch nicht einmal einen Hut. Es dauerte nicht lange, da verließen sie, triefend nass, das Gelände. Andere Trauergäste folgten.
Nur Mannis Mutter blieb stoisch im Regen stehen und lehnte mit einem knappen Kopfschütteln den Schutz des Regenschirms ab, den einer ihrer Nachbarn ihr anbot.
Ihre Tränen mischten sich mit Regenwasser und rannen über ihre Wangen.
Als Erwin an der Reihe war zu kondolieren, verhinderte ein dicker Kloß in seinem Hals das Sprechen. In die Augen schauen konnte er der Mutter seines Freundes auch nicht, zu tief nagte die Schuld in ihm. So stand er mit gesenktem Blick vor ihr, drückte ihre Hand, dachte an seine Rache, schob sich wieder in den Hintergrund und schlich schließlich wie ein geprügelter Hund davon.
»He, du!« Jemand rief ihn aus dem Schutz dicht stehender Koniferen an.
Erwin sah in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Dort stand ein junger Mann in Lederjacke, kaum älter als er selbst, eine Kappe tief ins Gesicht gezogen.
»Nun beweg deinen Arsch schon hierhin«, blaffte der Unbekannte.
»Warum?« Erwin machte keine Anstalten, der Aufforderung zu folgen.
»Der Rote will dich sprechen.«
Der Rote! Er war also doch noch da.
»Nun mach schon. Ich hab nicht ewig Zeit.«
Der junge Mann drehte sich um und ging zurück zum Friedhofseingang. An der Friedhofstraße blieb er stehen und zeigte nach Norden, Richtung Schießstand. »An der nächsten Ecke.«
Gehorsam trottete Erwin los. Als er das letzte Mal diesen Weg gegangen war, waren sie noch zu fünft gewesen. Er hatte die Walther im Hosenbund getragen und sie hatten einen sicheren Platz gesucht, um die Waffe auszuprobieren. Und jetzt lebte Manni nicht mehr.
Er bog um die Ecke und wäre fast über den Roten gestolpert, der in seinem Rollstuhl unter einem Busch Schutz vor dem Regen gesucht hatte.
»Schieb mich ein paar Meter«, meinte der Rote zur Begrüßung. »Ich glaube, du musst mir etwas erklären.«
Erwin konnte in seiner Stimme keinen Vorwurf erkennen, nur mitleidiges Interesse. Er griff zum Rollstuhl, drehte ihn und fragte: »Wohin?«
»In die Felder.«
Die Wege waren aufgeweicht und schlammige Pfützen erschwerten ihr Fortkommen. Immer wieder blieb der Rollstuhl stecken und der Rote musste mit seinen kräftigen Armen selbst die Greifreifen fassen. Der Rote sprach kein Wort. Und auch Erwin hielt den Mund.
Erst nach zehn Minuten brach der Rote sein Schweigen. »Das reicht. Und jetzt erzähl mir, warum Manfred und nicht du das Päckchen überbracht hat.«
»Es is also angekommen?«, erkundigte sich Erwin erleichtert.
»Das ja. Aber es war knapp. Also?«
Erwin berichtete von dem fraglichen Abend, vom Schwächeanfall seines Großvaters und der Notwendigkeit, ihn ins Krankenhaus zu begleiten.
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