Goldfasan
der Sortierung der Waren. In einem befinden sich nur Uhren, in einem anderen Leuchter, in wieder einem anderen Bilder und so weiter. Die SS-Männer an den Tischen davor kontrollieren die Einlieferungen, überwachen die Hilfskräfte und sind vor allem dafür verantwortlich, dass die Entnahmen korrekt verbucht werden.«
Sie schlenderten durch die Gänge der Halle. Dürre Männer standen mit gesenktem Kopf zwischen den Regalen.
»Das sind unsere Hilfskräfte«, erläuterte Müller, der Trasses Blick gefolgt war. »Ausschließlich Juden. Goldschmiede und Kunstsachverständige werden bei der Anlieferung eingesetzt, andere als Träger. Werden regelmäßig zur Sonderbehandlung geschickt.«
»Major Lahmer erwähnte diese Sonderbehandlung eben schon. Was habe ich mir darunter vorzustellen?«
Die beiden Offiziere warfen sich einen vielsagenden Blick zu. »Das wissen Sie nicht?«, fragte Lahmer erstaunt.
»Nein.«
»Die Itzigs werden alle erschossen.« Müller sagte das beiläufig, als ob er vom Wetter redete. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen, was wir hier alles lagern.«
Sie traten zu einem der Tische. Ein SS-Mann, der dort gesessen hatte, sprang sofort auf und nahm Haltung an.
»Das ist zum Beispiel der Bereich, wo wir Porzellan und so etwas einsortieren. Wollen Sie eines der Stücke sehen?«
»Gern.«
Müller gab dem SS-Mann einen Befehl. Der scheuchte einen der jüdischen Träger auf eine wackelige Leiter, um etwas aus einem der oberen Regalböden in etwa fünf Metern Höhe zu holen. Als der Mann, eine Vase in der rechten Hand und bemüht, nicht die Balance zu verlieren, die Leiter wieder hinabstieg, geschah es. Eine der Leiterstufen brach, der Mann geriet ins Straucheln und bei dem Versuch, sich festzuhalten und vor dem Absturz zu bewahren, glitt ihm die Vase aus der Hand, fiel und zerschellte vor den Augen Trasses und der beiden Offiziere auf dem Betonboden.
Bebend vor Zorn wartete Müller, bis der Gefangene selbst den vermeintlich sicheren Boden erreicht hatte und mit noch tiefer gesenktem Kopf vor ihnen stand. Ohne ein weiteres Wort öffnete Müller sein Pistolenhalfter, zog die Waffe heraus, entsicherte sie und schoss dem Mann in den Kopf.
Trasse packte das blanke Entsetzen, als er den Juden in seinem Blut vor sich liegen sah.
»Sorgen Sie dafür, dass hier sauber gemacht wird«, fuhr Müller den SS-Mann an, der den Vorfall mit regungslosem Gesicht beobachtet hatte. »Und tragen Sie die Vase aus der Liste aus. Ich will keinen Ärger wegen der Buchführung.« Er warf einen Blick in die Liste, die auf dem Tisch lag. Dann meinte er, zu Trasse gewandt: »Entschuldigen Sie die kleine Unannehmlichkeit. Glücklicherweise handelte es sich nicht um ein besonders wertvolles Stück. Ich zeige Ihnen etwas weniger Zerbrechliches. Kommen Sie.«
Trasse zitterten die Beine. Aber er folgte Müller und Lahmer zum nächsten Regal, bestaunte goldene Uhren, Bilder niederländischer Meister, Ringe aus Silber und Platin.
Als Trasse am Abend in einem Militärzug Richtung Westen saß, hatte er den Vorfall mit dem Juden schon wieder völlig vergessen. Seine Gedanken kreisten um die erste Lieferung, die Müller und Lahmer Anfang der nächsten Woche auf den Weg bringen wollten. Und darum, wie er das Problem mit seinem Schwiegersohn lösen konnte.
30
Sonntag, 11. April 1943
W alter Munder hieß den Fahrer, zwei Straßen entfernt vom Salon Kitty zu halten, und ging das letzte kurze Stück zu Fuß.
Das Etablissement befand sich im ersten Stock eines Geschäftshauses, das sonst Arzt-, Anwaltspraxen und einer Versicherungsagentur Platz bot. Munder drückte den Knopf neben dem Schild: Import – Export. Der elektrische Türöffner summte. Munder drückte die Haustür auf.
Oben erwartete ihn Madame schon an der Tür. Sie war nach der neuesten Mode gekleidet und verströmte einen dezenten Parfümgeruch. »Ah, Herr Munder. Schön, dass Sie uns wieder einmal mit Ihrem Besuch beehren. Ich habe etwas Besonderes für Sie vorbereitet.« Sie streckte einladend den Arm aus. »Bitte treten Sie ein.«
Dicke Läufer lagen im Flur auf dem Parkett und dämpften jeden Schritt. Weinrote Stofftapeten und kleine, schummriges Licht abgebende Wandleuchten vervollständigten das Interieur.
Madame öffnete eine der Türen und leise Musik war zu hören. Auch im Salon selbst waren die Wände mit den roten Stofftapeten ausgeschlagen. Ein großer Kronleuchter hing an der Decke. Schwere, bodenlange Vorhänge ganz aus schwarzem Samt verhinderten, dass ein
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