Goldfasan
richtigen Seite zu stehen.
Wie verabredet erschien Lahmer um zehn Uhr im Hotel, um ihn abzuholen. Sie nahmen in einem Wehrmachtskübelwagen Platz.
»Bis zum Warenlager sind es etwa vierzig Minuten Fahrt«, erklärte Lahmer. »Müller wird uns dort erwarten.«
Auf dem Weg passierten sie eine große Gruppe, die von Soldaten der Einsatzgruppen und ukrainischen Hilfstruppen durch die Straßen geführt wurde. Der gelbe Stern, den die Gefangenen trugen, wies sie als Juden aus.
»Die werden zur Sonderbehandlung gebracht«, erläuterte Lahmer. »Ich war bei einer dieser Aktionen dabei, um den Abtransport der Wertsachen zu überwachen. Scheußliche Angelegenheit. Sie glauben ja nicht, wo dieses Pack überall ihren Schmuck versteckt. Im Mund, im Arsch. Bin froh, dass ich diese Aufgabe losgeworden bin.«
Der VW-Kübel bretterte über holprige Straßen und Trasse musste mehrmals Halt an einem der Griffe am Vordersitz suchen.
»Ändert sich alles nach dem Endsieg«, lachte Lahmer. »Dann werden auch hier die Straßen picobello aussehen. Wie bei uns im Reich die Autobahnen.«
Das Warenlager, wie Lahmer es nannte, befand sich in einem Komplex, der aus zahlreichen großen Hallen bestand und augenscheinlich von der Wehrmacht als Nachschublager genutzt wurde. Das ganze Gelände war mit Stacheldraht umzogen und Streifen patrouillierten an dem Zaun. Die Zufahrt war mit MG-Posten gesichert. Ihre Papiere wurden einer sorgfältigen Überprüfung unterzogen. Doch sie wurden erst hereingewunken, nachdem sich der Wachhabende telefonisch bei Sturmbannführer Müller rückversichert hatte, dass mit Trasse und seinem Besuch alles mit rechten Dingen zuging.
Schließlich hob sich die Schranke. Die Menge und die Vielfalt der Dinge, die auf dem Gelände lagerten, waren imposant: Benzinfässer, Eisenbahnschwellen, Autoreifen, große Holzkisten, Berge von Kohlen und vieles mehr.
»Schon beeindruckend, oder?« Lahmer hatte Trasses Erstaunen bemerkt. »Nachschub für die Truppe. Das Gelände hier hat einen Eisenbahnanschluss. Der ist dahinten.« Lahmer zeigte mit der Hand Richtung Norden. »Sie können ihn von hier aus nicht sehen. Das Lager ist größer, als man annimmt.«
Kurz darauf hielt der Fahrer vor einem Gebäude, an das eine große Lagerhalle grenzte. Beide Bauwerke waren zusätzlich separat eingezäunt. Vor einem zweiflügligen Tor standen bewaffnete SS-Männer. Rechter Hand konnte Trasse eine kleine Baracke ausmachen.
»Dort wohnen die Arbeiter«, erklärte Lahmer.
Erneut wurden ihre Papiere penibel überprüft. Dann standen sie Sturmbannführer Müller gegenüber.
»Entschuldigen Sie die Kontrollen, Herr Trasse«, meinte er, als die Männer sich die Hände schüttelten. »Aber hier lagern Millionen. Das weckt Begehrlichkeiten. Wir können nicht vorsichtig genug sein.«
Trasse unterdrückte ein Grinsen. Es war schon mehr als skurril, wenn sich ein Offizier, der drauf und dran war, Reichseigentum zu unterschlagen, über die Sicherheit der ihm anvertrauten Wertsachen Gedanken machte.
»Bitte, kommen Sie herein. Möchten Sie zunächst einen Kaffee?«
»Nein, danke. Ich habe gerade erst gefrühstückt.«
»Wie Sie meinen. Dann wollen wir mal, meine Herren. Herzlich willkommen auf dem Goldesel.« Müller lachte über seinen Witz und Trasse deutete aus Höflichkeit ein Lächeln an.
Der Sturmbannführer führte sie durch einen langen, weiß gekälkten Gang, dessen Putz an einigen Stellen bröckelte und der von blanken Glühbirnen erleuchtet wurde. Die links und rechts abgehenden Türen waren geschlossen. »Hier arbeitet das Verwaltungspersonal«, erklärte Lahmer. »Alle natürlich von der SS.«
Sie bogen um eine Ecke und gelangten vor eine schwere Stahltür, die von einem SS-Mann bewacht wurde. Der Mann salutierte zackig, als er Müllers ansichtig wurde, und riss die Tür auf.
»Und nun hinein ins Allerheiligste«, meinte Müller.
Die Halle, die sie betraten, hatte keine Fenster. Nur durch verdreckte Oberlichter gelangte etwas Tageslicht in den Raum. Genau gegenüber der kleinen Gruppe, etwa einhundert Meter entfernt, befand sich eine weitere Stahltür. Auch sie wurde durch uniformierte SS-Leute gesichert.
»Die Wertsachen werden hier klassifiziert, geschätzt und gelistet. Die Gegenstände werden aus dem ganzen Bezirk Galizien hierher gebracht. Das Vermächtnis des polnischen Adels, vermögender Kaufleute oder auch reicher Juden.« Müller lachte. »Wir sind da nicht wählerisch. Die vielen Regale, die Sie hier sehen, dienen
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