Goldfasan
Das Telefon schrillte. Am Apparat war der Wachtmeister, der die Pforte beaufsichtigte. Vor ihm stehe ein Zeuge, der dringend eine Aussage machen wolle. Dem sei in der Nacht, als Munder ermordet wurde, etwas aufgefallen. Leider sei außer Golsten niemand der Kommissare greifbar und da habe er gedacht …
»Na gut. Schicken Sie den Mann hoch«, entgegnete Golsten knapp. Zwar war er nicht zuständig, aber wenn er einen möglicherweise wichtigen Zeugen einfach gehen lassen würde, ohne dessen Aussage aufzunehmen, wäre das Saborski sicherlich auch nicht recht.
Der Zeuge hieß Hubert Echte, war jenseits der sechzig, erschien aber ausgesprochen rüstig.
»Ich möchte eine Aussage machen«, begann Echte, nachdem Golsten dessen Personalien aufgenommen hatte.
»Ja, ich weiß«, erwiderte Golsten ruhig und griff zum Notizblock. »Erzählen Sie, was Ihnen in der Nacht zum Dienstag aufgefallen ist.«
»Ich wohne in der Goethestraße, quasi an der Ecke zur Schäferstraße. In der Nacht habe ich eine Zigarette geraucht und saß deshalb auf meiner Bank im Vorgarten.«
Natürlich kannte Golsten Charlotte Munders Aussage. Sie hatte angegeben, sie habe in der Nacht etwas wahrgenommen, was sich wie Schüsse angehört habe, dem aber keine weitere Bedeutung geschenkt. Allerdings habe sie auf die Uhr gesehen und sich gewundert, dass es schon weit nach Mitternacht gewesen war und ihr Gatte immer noch nicht von seinen dienstlichen Verpflichtungen heimgekehrt sei. Dann sei sie aber wieder fest eingeschlafen und erst später mit der schrecklichen Nachricht geweckt worden.
»Das Attentat fand in den frühen Morgenstunden statt«, stellte Golsten fest.
»Ja. Gegen halb vier.«
»Und um die Zeit haben Sie vor dem Haus geraucht?«
Echte beugte sich vor und senkte die Stimme, obwohl keine weiteren Personen anwesend waren. »Wissen Sie, ich hab’s an der Prostata. Da muss ich nachts häufiger raus. Und dabei rauche ich immer eine Zigarette. Meine Frau will nicht, dass ich im Haus qualme. Deshalb gehe ich immer vor die Tür auf meine Bank.«
»Und was ist Ihnen denn nun genau aufgefallen?«
»Zunächst näherte sich Munders Wagen. Den kenne ich. Wir sind ja schließlich fast Nachbarn. Der fuhr in Richtung der Villa. Ein, zwei Minuten später kam ein anderes Fahrzeug die Straße entlang und hielt fast bei mir vor der Tür, allerdings in der Schäferstraße. Dann knallte es plötzlich. Ich hab mir schon gedacht, dass das ein Schuss war. Ich bin sofort aufgesprungen, Richtung Straße gelaufen, konnte aber nichts erkennen. Wissen Sie, das Haus der Munders kann ich von meinem Vorgarten aus nicht einsehen. Der Fahrer des Wagens, ich meine den, der bei mir um die Ecke stand, sprang aus seinem Wagen und lief die Straße hinunter.«
»Wann stieg der Mann aus? Bevor oder nachdem der Schuss gefallen war?«
»Also, wenn Sie so fragen …«
»Sie wissen es nicht mehr.«
»Nicht genau.«
»Was war dann?«
»Dann hörte ich Schreie. Und dann knallte es wieder. Der Mann kam eilig zurück, stieg in das Auto und fuhr weg.«
»Können Sie den Mann beschreiben?«
»Na ja, groß gewachsen, schlank.«
»Weiter!«
»Herr Kommissar, es war doch dunkel.«
»Würden Sie den Fahrer wiedererkennen?«, insistierte Golsten.
»Hm. Vielleicht. Oder … Möglich … Nein. Oder ja. Nun, ich weiß nicht.«
Ein toller Zeuge.
»Und das Fahrzeug?«
»So ein eckiger, schwarzer Wagen war das. So einen, den man häufiger sieht.«
Golsten seufzte schwer: den man häufiger sieht. »Warum haben Sie nicht sofort die Polizei gerufen?«
Echte rutschte verlegen auf seinem Stuhl hin und her. »Wir haben doch kein Telefon. Und knallen tut es öfter. Ich habe zwar daran gedacht, aber dann … Schließlich will man keine Scherereien. Es geht mich ja auch eigentlich nichts an, was da so nachts auf den Straßen passiert. Aber dann habe ich die Zeitung gelesen. Na ja, und deshalb bin ich jetzt hier.«
Ja, dachte Golsten. Jetzt bist du hier. Drei Tage zu spät, aber immerhin. »Der Fahrer des Wagens hat Sie aber nicht bemerkt?«
»Nie im Leben. Ich habe hinter dem Busch gestanden. Außerdem war es ja dunkel. Wieso fragen Sie?« Echtes Stirn legte sich in Falten, der Mund öffnete sich leicht. »Sie meinen doch nicht …«
Doch, genau das meinte Golsten. Wenn es sich bei dem unbekannten Fahrer des Wagens tatsächlich um den Attentäter gehandelt und dieser auch Echte wahrgenommen hatte, wäre es denkbar, dass er den Zeugen zum Schweigen bringen wollte. Das wäre eine
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