Goldfasan
ihrer Tochter diesen alttestamentarischen Namen gegeben. Als Rufnamen. Allerdings war das vor der Machtergreifung.« Marianne konnte sich nicht mehr halten vor Lachen. »Nicht sehr weitsichtig, oder?«
»Sie hat ihren Namen geändert?«
»Ja. Direkt nach dem Tod ihrer Mutter und kurz vor der Heirat mit Munder. Sarah klang wohl nicht so gut in den Ohren des hoffnungsvollen Jungnazis, das passte nicht in die politische Landschaft.«
»Marianne!« Lisbeth versuchte, ihre Freundin zu mäßigen, musste aber selbst immer wieder kichern.
»Was soll’s. Hört uns doch keiner. Außerdem war Sarah Charlotte ja nicht die Einzige, die mit ihrem Namen in der neuen Zeit nicht mehr so recht zufrieden war, nicht wahr, Herr Goldstein. Oder warum hast du …« Der Rest ihrer Worte ging in einem weiteren Lachkrampf unter.
Golsten war wie versteinert. Charlotte Munder hatte früher Sarah als Rufnamen geführt. Das rote S auf der Decke, in die das tote Kind eingewickelt war. Die blonden Haare. Der Wagen ihres Vaters in der Nähe des Fundortes der Leiche – jede Menge Indizien!
53
Dienstag, 27. April 1943
G olsten hoffte, dass Munders Wohnsitz nicht überwacht wurde. Bisher waren seine andauernden Ermittlungen in der Sache nicht aufgefallen, wenn aber Munders Villa unter Beobachtung stand, war sein Verstoß gegen Saborskis Anweisung nicht länger zu verheimlichen.
Frau von Burwitz begrüßte ihn erstaunlich freundlich, bat ihn ins Haus. Im Gegensatz zu seinem letzten Besuch durfte er ihr sogar in den Salon folgen.
»Ich habe mich neulich nicht gerade von meiner besten Seite gezeigt. Bitte entschuldigen Sie«, erklärte sie ihr Verhalten.
Der Kommissar wunderte sich zwar ein wenig über diese Einsicht, aber wenn Anna von Burwitz ihre Meinung geändert hatte, umso besser. Wenn sie ihn lediglich aus Höflichkeit oder Vorsicht konzilianter behandelte, sollte es ihm auch egal sein. Hauptsache, sie sagte ihm, was er wissen wollte.
Golsten betrat den Salon und blieb für einen Moment voller Erstaunen stehen. Anna von Burwitz schien in einem Naturkundemuseum zu leben: An den Wänden hingen Köpfe exotischer Tiere, in einer Ecke stand ein ausgestopfter Braunbär. Mehrere große Trommeln, bemalt mit verworrenen Mustern, lagerten wie zufällig im Raum verteilt, dazwischen Vasen verschiedener Größen. Eine Wand war völlig mit einem raumhohen Regal bedeckt, in dem sich Bücher stapelten. Und dann die vielen Bilder! Kein Fleck zwischen den Tierköpfen war freigeblieben. Landschaftsfotografien, Tierbilder, Fotos von Jägern.
»Interessieren Sie sich für Zoologie?«, fragte die Hausherrin.
»Wenn ich ehrlich bin: nein«, erwiderte Golsten. »Und ich bin überrascht, so etwas hier vorzufinden.«
»Das sind die meisten, die diesen Raum zum ersten Mal betreten. Mein Mann war begeisterter Jäger und Sammler. Alles, was Sie hier sehen, hat er selbst geschossen. Vor Kriegsausbruch haben wir halb Afrika und Nordamerika bereist. Der Braunbär dort stammt zum Beispiel aus den nördlichen Rocky Mountains in Kanada. Waren Sie schon einmal dort?«
»Leider nicht.«
»Sie sollten es sich ansehen. Ein faszinierendes Land. Vermutlich müssen Sie aber noch etwas warten. Erst muss ja Großdeutschland diesen Krieg gewinnen, nicht wahr?«
Golsten zog es vor, nicht auf den leisen Spott zu antworten.
»Wie dem auch sei. Was wünschen Sie, Herr Golsten? Ach, Kaffee oder Tee kann ich Ihnen leider nicht anbieten. Selbst Ersatzkaffee war gestern nicht auf Marken zu bekommen. Vermutlich brauchen wir ihn für die Wunderwaffen. Bitte nehmen Sie doch Platz.«
Sie wies auf die Stühle, die um einen großen, runden Tisch angeordnet waren, der mitten im Raum stand.
»Also, was kann ich für sie tun?«, fragte sie erneut, als sich beide gesetzt hatten.
»Es geht noch einmal um die verschwundene Polin.«
»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß.«
»Marta Slowacki wurde am 24. März von mehreren Männern in einem Wagen der Marke Horch abgeholt. Haben Sie sie danach noch einmal gesehen?«
»Nach dem 24. März? Da muss ich nachdenken.« Sie legte ihre Stirn in Falten. »Nein, ich glaube nicht.«
»Hm. Bestimmt haben Sie von der Ermordung Munders gehört?«
»Das, Herr Kommissar, ist selbst mir nicht verborgen geblieben.«
»Wurden Sie in dieser Angelegenheit eigentlich als Zeugin vernommen?«
»Nein. Bisher nicht.«
»Dann schildern Sie doch bitte, was Sie in der Nacht vom 19. auf den 20. April wahrgenommen haben.«
»Es war so gegen halb vier, als
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