Goldfieber
drastisch ab. Die allgemeine Aufbruchsstimmung setzte direkt nach Belindas Verschwinden ein. Diejenigen, die blieben, waren fast ausschließlich Nabobs der Rechts-Bewegung und Männer, die sich unter vier Augen mit Max Weider unterhalten wollten. Da war Max im Moment nicht gerade hilfreich.
Tinnie ließ mich kaum noch aus den Augen, und Alyx zuckelte tapfer hinterher. Sie begriff einfach nicht, dass gegen die Sturheit einer Rothaarigen kein Schädel gewachsen ist. Ich hätte es ihr sagen sollen. Denn auf diesem Gebiet habe ich eine Menge Erfahrung.
Selbst hartgesottene Freunde des Weider- und des Nicholas-Clans verdufteten, noch bevor das Orchester sein letztes Stück spielte. Ty war todunglücklich. Nicks war geradezu deprimiert. Ich glaubte sogar ab und zu das Schimmern einer Träne zu sehen.
»Das ist wirklich traurig«, sinnierte Tinnie. Wir betrachteten den Ballsaal vom Haupteingang aus. Gerris Genord nickte, als hätte sie mit ihm gesprochen. Der Mann sah aus, als würde er soeben ein ausgewachsenes Magengeschwür heranzüchten. »Nicks tut mir so Leid, Garrett. Wenn man ein gewaltiges Opfer bringt, nur um seine Familie glücklich zu machen, dann sollte es sich nicht auf diese Weise in Scheiße verwandeln, wie es hier passiert ist.«
»Frau! Solche Ausdrücke von einer so entzückenden …«
»Lass es stecken, Garrett. Ich meine es ernst. Sie hat heute Abend überhaupt keinen Spaß gehabt. Und ich glaube nicht, dass dies zu viel verlangt gewesen wäre – im Austausch für den Rest ihres Lebens.«
»Ich nehme an, dass auf Max Weider ein Fluch liegt. Oder sogar auf der ganzen verdammten Familie. Und er hat sich erfüllt, als Nicks beschlossen hat, dieser Familie beizutreten.« Ich fragte mich allmählich, ob ein solcher Fluch wirklich zu bewerkstelligen war. Es war einfach unwahrscheinlich, dass das Schicksal es mit einem Menschen immer nur schlecht meinte.
Ohne ihn wirklich wahrzunehmen, beobachtete ich Gresser, der wie verrückt herumwirbelte, als wenn seine dezimierte Belegschaft irgendeine Arbeit aufzuholen hätte.
Tinnie verabschiedete sich von einem Nachzügler, den sie kannte, ohne sich die Mühe zu machen, mich vorzustellen. »Willst du mich in der Speisekammer im Flur verstauen und nur rausholen, wenn du spielen willst?«
»Das ist eine gute Idee.« Sie sah mich fragend an. »Wenn ich die Alyxe dieser Welt da raushalten könnte. Willst du bleiben?«
So lautete eigentlich mein Geheimplan. »Schüchternheit steht dir nicht.«
»Ich? Schüchtern? Seit wann das denn?«
»Du versuchst, es zu überspielen. Ich glaube nicht, dass Dean mir Stubenarrest geben würde, wenn ich heute Nacht nicht nach Hause komme. Vor allem, wenn ich mir eine Geschichte ausdenke, in der irgendwo dein Name fällt.« Tinnie war nach wie vor eine von Deans Lieblingsrothaarigen.
Und eine von meinen auch.
»Was ich an dir liebe, ist dein Enthusiasmus, wenn du dich erst mal entschieden hast …«
»Entschuldigen Sie, Sir.« Genord hatte offenbar den Nachzügler zur Kutsche gebracht. Er wirkte ernst. »Da möchte Sie jemand sprechen.«
Schon wieder? »Kein Gentleman?«
»Definitiv kein Gentleman.«
Tinnie zischte ärgerlich. »Ich wusste, dass noch was passieren würde.«
Ich ging hinaus. Es war Schrauber. Schon wieder.
Natürlich. Wer sonst wusste schon, wo ich steckte? Mein Nicht-Lieblingshuhn ganz gewiss nicht. Seit er hinausgeworfen worden war, hatte ich von dem kleinen Geier nichts mehr gesehen.
Vielleicht hatten die Vampirfledermäuse ihn erwischt. Oder er lag einfach nur irgendwo rum und wartete auf das Licht. Er war nicht wie die Papageien auf den Inseln, die die ganze Nacht aufblieben und die Schreie der Verängstigten oder Verwundeten nachmachten.
Also wieder Schrauber. Eindeutig kein Gentleman. Gerris Genord hätte sich vermutlich seine Unterwäsche ruiniert, wenn er gewusst hätte, wer dieser Gnom war.
Schrauber wirkte mitgenommen. »Macht es Sie fertig?«, fragte ich ihn.
»Noch nicht.«
»Was ist los?«
»Sie müssen sich noch etwas ansehen.«
»Gehe ich recht in der Annahme, dass es wieder nichts Fröhliches ist?«
»Nein, nichts Fröhliches. Wir haben heute absolut keine fröhliche Nacht.«
51. Kapitel
Es war überhaupt nicht fröhlich.
Und der Tatort lag nicht weit von der Stelle entfernt, wo Schrauber vorher den Karren mit den Leichen aufgebracht hatte.
Diesmal handelte es sich um Belindas hässliche schwarze Kutsche. Sie war leer. Ein Pferd hing tot im Geschirr – in seinem Hals
Weitere Kostenlose Bücher