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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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sie zum Tod durch die Blumenschlinge »begnadigte«. Auch von diesem grässlichen Kerker wissen in Tenochtitlan nur dieAngehörigen der fünfzehn oder zwanzig mächtigsten Adelssippen. Oder genauer gesagt, so wie Carlita es mir erklärt hat: Jeder, der jemals Tenochtitlan besucht hat, kennt auch Montezumas Tierpark mit seinen Unmengen seltener Affen und Alligatoren, Ozelots und Jaguare. Und so kennt auch jeder die Abteilung für »menschliche Monstren« – Missgebildete mit zwei Köpfen, zusammengewachsene Zwillinge und andere bedauernswerte Kreaturen, die Montezuma gleichfalls in seinem Zoo zur Schau stellen lässt. Doch in einem Winkel des weitläufigen Tiergartens, noch hinter dem Alligatorsumpf, steht laut Carlita eine fensterlose Halle, die sich über einer abgrundtiefen Schlammgrube erhebt. Wer sich erkundigt, was in dieser Halle verwahrt wird, aus der bei Tag und Nacht ein schauriges Gewinsel dringt, der erhält die Auskunft, dass es das »Lager für lebendiges Tierfutter« sei. Tatsächlich aber, sagt Carlita, ist es der Albtraumkerker, den die Eingeweihten in Tenochtitlan das Menschentierhaus nennen.
    Wir blieben drei Wochen in Tlaxcala. Die beiden greisen Könige hatten Cortés in ihr Herz geschlossen und wollten ihn gar nicht wieder ziehen lassen. Als unser Herr ihnen erklärte, dass er nun endlich nach Tenochtitlan marschieren müsse, um ihren gemeinsamen Feind Montezuma in die Knie zu zwingen, da wollten sie ihm eine Streitmacht von achtzigtausend Mann mitgeben. Doch Cortés bat sie, uns lediglich ihre zweitausend besten Krieger und einige Hundert Diener zu überlassen. »Wenn ich mit einer ganzen tlaxcaltekischen Armee anrücke«, sagte er, »wird Montezuma seine Stadt vor mir verrammeln. Ich will aber, dass er mich für seinen Freund hält und mir seine Stadt und sein Herz öffnet. Erst wenn ich mich im Innersten seines Herzens eingenistet habe, soll er erkennen, wen er eingelassen hat.«
    Die Könige Maxixcatzin und Xicotencatl rieten Cortés dringend, dann aber zumindest nicht über Cholollan zu reisen. Ihre Späher hätten ihnen berichtet, dass die Chololla Vorbereitungen träfen, um uns in ihrer Stadt einzukesseln und zu ermorden.
    Aber unser Herr ließ sich auch diesmal auf nichts festlegen. Das werde er unterwegs entscheiden, erklärte er lediglich und hatte es auf einmal wieder sehr eilig, die Stadt zu verlassen, in der wir so gastfreundlich aufgenommen worden waren.
    Kurz zuvor hatte ihm König Maxixcatzin offenbart, was mit der Stute geschehen war, die die Tlaxcalteken bei der zweiten Schlacht von uns erbeutet hatten. Bestimmt hatte es unserem Herrn zugesetzt, dass sie die Stute ihrem Götzen Camaxtli geopfert hatten. Seine Abhandlung über unseren allmächtigen Gott im Himmel hatten sie feierlich verbrannt und schließlich die Überreste des Pferdes zusammen mit dem roten Tafthut vor der Camaxtli-Pyramide vergraben.
    Am 12. Oktober im 1519. Jahr des Herrn machten wir uns auf den Weg nach Cholollan.
- 9 -
    Hätte ich wirklich verhindern können, dass wir in die Schlinge tappten, die Montezuma hier in Cholollan für uns ausgelegt hat? Jetzt, da ich mir alles noch einmal vor Augen geführt habe, bin ich mir sicher: Es stand nicht in meiner Macht.
    Wenn ich Cortés von dem Menschentierhaus in Tenochtitlan berichtet hätte, dann hätte er unweigerlich auch noch herausbekommen, dass Carlita von jenem Netz aus Geheimgängen und Schatzkammern weiß. Und dieses Wissen hätte ihn bestimmt nicht davon abgehalten, nach Cholollan und von hier aus weiter nach Tenochtitlan zu marschieren. Ganz im Gegenteil: Es hätte ihn nur noch mehr in seinem Plan bestärkt, in die Hauptstadt der Azteken vorzudringen und den größten Goldschatz der Welt an sich zu bringen – auch auf die Gefahr hin, dass er und seine treuesten Gefolgsleute in jenem Höllenkerker zugrunde gehen. Bis zu den Knien in übelriechendem Schlamm versunken, von dämonischen Dämpfen und giftigen Schlangen gepeinigt – so hat Carlita mir die elende Lage der »Menschentiere« beschrieben.Aber nicht einmal diese grausige Aussicht hätte ihn abschrecken können – das Goldfieber hätte Cortés weiter vorangetrieben, so oder so.
    Kaum hatten wir das Land der Tlaxcalteken hinter uns gelassen, da stießen wir auf eine Gruppe kostbar gekleideter Azteken. Sie hatten in einem Gasthof am Straßenrand auf uns gewartet, und ihre Anführer warfen sich unserem Herrn sogleich zu Füßen und erklärten, der Große Montezuma habe sie ausgesandt. Einen von

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