Goldfieber
Antwort unseres Herrn konnten sie herauslesen, dass er Quetzalcoatl sei, auch wenn er das nicht ausdrücklich behauptet hatte. Überdies hatte er sie daran erinnert, dass es nach ihrem eigenen Glauben in der Macht jenes Quetzalcoatl stand, als Gott oder auch verkörpert als Mensch unter ihnen zu erscheinen.
Mit großartiger Gebärde legte Cortés zwei der vor ihm kauernden Sklaven seine Hände auf den Kopf. »Ich schone euer Leben«, sprach er. »Ich bin milde und gütig und verabscheue Menschenopfer.« Er wedelte sie mit seinen Händen von sich fort. Alle fünf Sklaven rappelten sich auf und stolperten zur Seite. »DenWeihrauch brennt für mich ab und einige der roten Federn steckt mir an meinen Hut«, wies unser Herr mich und Diego an. »Dies auch zum Zeichen«, wandte er sich wiederum an Xicotencatl, »dass ich bereit bin, euch im Namen meines Königs als Vasallen zu akzeptieren. Und nun lasst uns gemeinsam den Truthahn verspeisen!«
Von den Gesichtern der Tlaxcalteken konnte ich ablesen, dass sie nun vollkommen verwirrt waren. Ob Cortés ein Gott oder ein Mensch war, der wiedergekehrte Quetzalcoatl oder der Statthalter des Königs von Spanien – oder vielleicht auch das alles zusammen –, hätte bestimmt niemand von ihnen sagen können. Und in meinem Kopf sah es nicht sehr viel klarer aus.
Noch am selben Tag reisten wir jedenfalls nach Tlaxcala ab. Eben noch hatten uns die Tlaxcalteken erbittert bekämpft – nun trugen sie uns in eigens mitgebrachten Sänften und Hängematten im Laufschritt den Berg hinab und durch die weite Ebene bis in ihre Hauptstadt. Dort wurden wir von den beiden greisen Königen, Maxixcatzin und Xicotencatl der Ältere, herzlich empfangen und in einem gewaltig großen Palast untergebracht. Nicht einmal die obersten Herrscher der Tlaxcalteken besaßen Umhänge aus Hirschleder oder aus Baumwolle und anstelle von Gold- und Silberketten trugen sie einfachen Kupferschmuck. Doch ihr stolzer Freiheitsdrang beeindruckte unseren Herrn und nötigte sogar Portocarrero ein wenig Respekt ab. »Die beiden Alten«, dröhnte er, »besitzen jedenfalls mehr beschissenen Stolz als unsere beiden Franciscos! Wozu allerdings auch verdammt wenig gehört!«
Nachdem wir so lange auf jenem Berggipfel gehungert hatten, schlugen wir uns in Tlaxcala von früh bis spät die Bäuche voll. Cortés und die anderen Kranken kurierten ihr Fieber und ihren Husten aus, und unsere Verletzten ließen die Wunden heilen, die ihnen die Tlaxcalteken mit den steinernen Schneiden und Spitzen ihrer Schwerter und Speere beigebracht hatten. Sooft es ging, schlenderten Carlita und ich durch die weitläufige Stadt undversuchten, nicht an gestern und schon gar nicht an morgen zu denken. Das gelang uns nur selten, doch wenn wir einen Winkel fanden, in dem wir uns ungestört küssen und umarmen konnten, gelang es uns umso besser.
Während wir auf dem Berggipfel bei der Kapelle »Vitoria« festsaßen, hatte Carlita mir auch den Rest ihrer schrecklichen Geschichte erzählt. Wegen »Verschwörung gegen den Thron von Tenochtitlan« waren die Familien aller Xochiquetal-Priesterinnen zu harten Strafen verurteilt worden. Die meisten wurden mit der blumenumwundenen Drahtschlinge hingerichtet – unter ihnen auch Carlitas Eltern, da die Hohepriesterin Ixhuicatli die Schwester von Carlitas Mutter war und in ihrem Haushalt gelebt hatte. Andere wurden in die Verbannung geschickt. Das Vermögen aller Familien, die der Verschwörung überführt worden waren, wurde eingezogen und an Adelsfamilien verteilt, die Montezuma treu ergeben waren. Kurz nach der Hinrichtung ihrer Eltern und Geschwister gelang es Carlita mithilfe eines hochgestellten Freundes ihres Vaters, unerkannt aus Tenochtitlan zu fliehen. Doch sie geriet bald schon in die Fänge eines Sklavenhändlers, der sie mit dem Krallenzeichen auf ihrem Unterarm brandmarkte und schließlich für dreizehn Jadeplättchen auf dem Sklavenmarkt von Potonchan verkaufte.
Das alles berichtete ich getreulich weiter an Cortés. Doch ich hütete mich zu erwähnen, auf welchen verborgenen Wegen Carlita aus der Stadt geschafft worden war – durch ein Labyrinth aus Geheimgängen, das nur wenigen Eingeweihten in Tenochtitlan bekannt ist. Denn diese Geheimgänge bilden ein Netzwerk von Fluchtwegen für den äußersten Notfall und führen überdies zu den Schatzkammern von Tenochtitlan.
Genauso wenig erwähnte ich das Menschentierhaus, zu dem Carlitas Eltern bereits verurteilt worden waren, als Montezuma selbst
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