Goldfieber
uns begriff so richtig, wie das möglich war – ob er auch diese glückliche Wendung in einem prophetischen Traum vorhergesehen oder dies alles am Vortag mit dem Herrscher von Tzompatzinco ausgehandelt hatte.
Das Heer der Tlaxcalteken jedenfalls lagerte unten am Fuß des Berges, während eine festlich gewandete Gesandtschaft zu uns emporstieg. Ihr Anführer war ein groß gewachsener Indianer von vielleicht dreißig Jahren. Er kniete vor unserem Herrn nieder und beugte sich vor, um den Boden zu küssen. Mühsam machte es ihm Cortés nach. Er hatte Diego und mir verboten, ihn zu stützen oder festzuhalten – die Tlaxcalteken sollten nicht bemerken, dass er geschwächt war.
»Ich bin der Sohn von Xicotencatl, einem der beiden Könige der Tlaxcalteken«, erklärte der Abgesandte und maß erst Cortés, dann die Umstehenden mit einem stolzen und finsteren Blick. »Mein Vater ist ebenso wie Maxixcatzin, unser zweiter König, zu betagt, um die beschwerliche Reise hierher persönlich auf sich zu nehmen«, fuhr er fort. »Aber sie laden Euch ein, mit Eurem Gefolge nach Tlaxcala zu kommen und dort unsere Gäste zu sein, solange es Euch bei uns gefällt.«
Cortés sah noch starrer als sonst durch sein Gegenüber hindurch.»Wie ist dein Name?«, fragte er. »Du hast eure Krieger im Kampf gegen uns befehligt – habe ich recht?«
Der Tlaxcalteke kniff seine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Er heiße Xicotencatl, genauso wie sein Vater, erklärte er, und sei an dessen Stelle als militärischer Führer in die Schlacht gezogen. »Im Namen unserer Könige bitte ich Euch um Verzeihung, dass wir Euch angegriffen haben, bärtiger Fremder«, fuhr er fort. »Wir Tlaxcalteken schätzen unsere Freiheit so hoch, dass wir niemandes Vasallen sein wollen – lieber nehmen wir in Kauf, dass wir in Armut leben und uns in diese einfachen Gewänder aus Pflanzenfasern hüllen müssen, die Ihr an unseren Körpern seht. Montezuma hat allen Völkern verboten, mit uns Handel zu treiben. Deshalb sind wir arm, doch als Tribut bringen wir Euch das Kostbarste, was wir besitzen: Truthahnfleisch und Maisfladen, Federn und Weihrauch sowie einige junge Sklaven. Wenn Ihr Götter seid, die Fleisch und Blut zu sich nehmen, so verzehrt die Sklaven, seid Ihr milde Götter, so nehmt den Weihrauch und die Federn. Seid Ihr aber Menschen, so lasst Euch Truthahn und Tortillas schmecken.«
Er machte seinen Begleitern ein Zeichen und sie breiteten die mitgebrachten Gaben aus. Drei Indianer setzten Körbe voll köstlich riechender Nahrungsmittel vor unserem Herrn ab, drei weitere entrollten Bündel, die Weihrauch und kunstvoll gearbeiteten Federschmuck enthielten. Als Letztes traten fünf kräftige Tlaxcalteken vor, die ebenso viele junge Sklaven vor unserem Herrn zu Boden stießen.
Cortés schaute sich das alles ausdruckslos an.
»Leider können wir Euch kein Gold überreichen«, fügte Xicotencatl hinzu. »Wir haben gehört, dass Ihr die Tränen des Sonnengottes höher als jedes andere Besitztum schätzt, doch in unserem Land gibt es nirgendwo Gold. Dennoch ist es unser aufrichtiger Wunsch, Vasallen Eures Königs zu werden.«
Cortés wandte sich kurz zu Alvarado um und hätte dabei fastdas Gleichgewicht verloren. »Wir benötigen das Gold gegen die Krankheit unserer Herzen«, erklärte er. »Eine Krankheit, die daher rührt, dass wir unsere Heimat vor so langer Zeit verlassen mussten.«
Diese Worte versetzten mir einen Stich. Also litt auch unser Herr manchmal an Heimweh?, fragte ich mich, während Marina übersetzte. Also kannte auch er diese schmerzliche Sehnsucht nach dem Ort, an dem er aufgewachsen war?
»So stimmt es also?«, fragte Xicotencatl und sein Gesichtsausdruck wurde scheu. »Ihr seid Quetzalcoatl, Herr – zurückgekehrt, um mit Eurem Volk, den Tolteken, wieder hier in Mexiko zu leben? Also seid Ihr wahrhaftig ein Gott?«
Cortés schaute noch starrer, falls das überhaupt möglich war. »War Quetzalcoatl nicht auch ein sterblicher Mensch«, fragte er zurück, »ehe er zum Gott erhoben wurde?«
Da erst wurde mir klar, dass er seine Worte eben ganz anders gemeint haben musste. Er hatte vom angeblichen Heimweh des Tolteken-Herrschers Quetzalcoatl gesprochen – und nicht von seiner eigenen Sehnsucht, eines Tages nach Spanien zurückzukehren! Oder begann er sich in seine Rolle als angeblicher Quetzalcoatl schon so sehr einzuleben, dass beides sich für ihn vermischte?
Der Tlaxcalteke wechselte verwirrte Blicke mit seinen Begleitern. Aus der
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