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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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einer hohen Mauer umschlossen ist.
    Cortés stieg aus seiner Sänfte und trat vor das kunstvoll gemeißelte Bildnis. Er legte seinen Kopf in den Nacken und sah es aufmerksam an. Sein Gesicht war ausdruckslos wie fast immer,aber ich spürte, dass er tief beeindruckt war. Geradezu ergriffen, wie ich ihn niemals vorher gesehen hatte.
    Ergriffen von sich selbst.
    Die Bildsäule ist sicher schon viele Hundert Jahre alt und wenigstens neun Fuß hoch. Sie stellt einen schlanken, fast zierlichen Mann in mittleren Jahren dar. Sein Gesicht ist schmal und wundersamerweise von einem schütteren Bart gesäumt. Er trägt einen weit geschnittenen Umhang, der fast bis zu seinen Fußknöcheln reicht, und eine seltsame Kopfbedeckung, die wirklich einem Hut nach spanischer Mode ähnelt. Sein Kinn ist vorgereckt, die Brust gewölbt. Der helle Marmorstein mag im Lauf der Zeit von der Sonne noch zusätzlich gebleicht worden sein. Jedenfalls sieht es so aus, als ob der steinerne Mann weißhäutig wäre.
    »Quetzal-Cortés!«, schrie Portocarrero.
- 10 -
    Der Morgen dämmert herauf, und ich spüre, dass es unser letzter Morgen ist – hier in Cholollan oder überhaupt auf dieser Welt. Seltsamerweise fühle ich mich ganz ruhig – weder von Angst noch von Schuldgefühlen geplagt wie fast durchweg in den letzten Tagen.
    Ich drehe mich zur Seite, stütze meinen Kopf in die Hand und schaue Carlita an. Ihre Augen sind geschlossen, sie seufzt und murmelt im Schlaf. Wie sehr ich dich liebe, Carlita!, denke ich. Aber bevor ich auch nur auf die Idee kommen kann, einen Kuss auf ihre Lippen zu hauchen, höre ich irgendwo neben mir Stimmengemurmel.
    Ich rappele mich auf und finde Cortés und seine Vertrauten einige Schritte abseits in leisem Gespräch. Sie kräftigen sich durch ein Frühstück, das offenbar so karg ausfällt wie unsere gestrigen Mahlzeiten: altbackene Fladen und lauwarmes Wasser. Nur am ersten Tag haben uns die Herrscher von Cholollan großzügigbewirtet. Danach haben sie uns nur noch ein paar kümmerliche Reste geschickt und gestern Abend – an unserem dritten Tag in ihrer Stadt – sogar bloß Brennholz und Wasser.
    Als unser Herr bemerkt, dass ich wach bin, winkt er mich energisch herbei. »Du bleibst hier im Palast, Orteguilla!«, sagt er zu mir. »Behalte die Kleine im Auge – ihr beide dürft das Haus nicht verlassen, bis ich es euch ausdrücklich erlaube.« Seine Stimme klingt ernst, er sieht angespannt und übernächtigt aus.
    »Was ist passiert, Herr?«, frage ich.
    Er deutet zum Dachrand. »Schau es dir selbst an.«
    Unten auf dem Platz haben sich erneut Tausende Chololla versammelt. Die Feuer an den Straßeneinmündungen sind wieder angezündet worden und daneben liegen frische Brandfackeln aufgestapelt. Ich lasse meinen Blick zu den Dächern der umliegenden Paläste schweifen – die Indianer, die dort gestern Abend neben den Steinhaufen kauerten, sind noch nicht auf ihre Posten zurückgekehrt. Aber eine gewittrige Spannung liegt in der Luft – sie werden uns angreifen, das spüre ich, noch an diesem Morgen!
    »Wir kommen ihnen zuvor«, sagt Cortés, der sich erhoben hat und neben mich an den Dachrand tritt. »Ihre Fürsten und sonstigen Würdenträger haben sich da drüben versammelt – im Hof des Quetzalcoatl-Tempels.« Er deutet zur anderen Seite des Platzes hinüber. »Offenbar wollen sie die Gnade ihres Götzen erflehen – bevor sie mich angreifen!«
    Ich schaue ihn von der Seite an. Er kommt mir geradezu empört vor. Das Tor in der Mauer hinter der Bildsäule ist geschlossen, doch von hier oben aus kann ich erkennen, dass sich auf dem Tempelhof dahinter wenigstens Hundert Indianer drängen.
    »Es wird einen Kampf geben«, sagt Cortés noch. »Wir werden die Gewehre und vielleicht sogar die Kanonen einsetzen, also bleibt im Haus und meidet auch das Dach. Sie werden alles mit Steinen und Pfeilen eindecken, was sich hier drüben bewegt.«
    »Wie Ihr befehlt, Herr«, sage ich. »Aber kann ich nicht auch dazu beitragen, dass wir diesen Kampf gewinnen?«
    Cortés hat sich schon abgewendet und antwortet mir, ohne sich noch einmal umzudrehen. »Behüte die Kleine! Das ist dein Beitrag zu unserem Sieg.«
    Da wird mir schlagartig klar, dass er längst weiß oder zumindest ahnt, wer Carlita wirklich ist. Sie ist unser Schlüssel zum Goldschatz, sie ist es wahrhaftig!
    Während mir diese Gedanken durch den Kopf schießen, sind Cortés und seine drei Vertrauten schon auf dem Weg nach unten. Bestimmt haben sie während der

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