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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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nach oben spitz zu. Vielleicht liegt es daran, dass ich mir wie im Innern eines gigantischen Mauls vorkomme, dessen Zähne drohend über uns emporragen. Mitten auf dem Platz klafft überdies ein gewaltiger Abgrund im Boden, der von kunstvoll gemeißelten und bemalten Statuen und sonstigen Steingebilden umgeben ist. »Der Tempel des Unterweltgottes Mixcoatl«, erklärt uns Cuitláhuac, »und der Eingang zur Welt der Schatten und der Toten.«
    Während wir in den schlundartigen Abgrund blicken, pirscht sich ein alter Indianer zu uns heran. Er schaut Alvarado furchtsam an, dann nimmt er anscheinend all seinen Mut zusammen und fasst dem »Durchtriebenen« an den Bart.
    Alvarado fährt zurück und ballt die Fäuste. »Verschwinde, du Knochenbündel!«, murmelt er. Doch dann nimmt er sich zusammen und schiebt den Alten bloß sachte von sich weg.
    Nicht die geringsten Übergriffe dürften wir uns erlauben, hat Cortés uns ermahnt – und wohl deshalb hat er Portocarrero bei diesem ersten Besuch in Montezumas Palast lieber nicht mitgenommen. Der »Dröhnende« wäre bestimmt schon auf dem Weg dorthin mehrfach aus der Haut gefahren.
    Wir anderen dagegen mustern nur mit stummen Blicken die gigantischen Schädelgerüste, die vor jedem einzelnen Tempel stehen, beladen mit sonnengebleichten Totenköpfen und Oberschenkelknochen. Ein flaches, lang gezogenes Bauwerk weist im Erdgeschoss eine Reihe eng vergitterter Fenster auf.
    »Was befindet sich in diesem Haus?«, will Cortés wissen.
    »Die Opferzellen«, antwortet Cuitláhuac bereitwillig. »Es sind drei Räume, der linke für weibliche Opfer, der größte in der Mitte für die männlichen und der dritte für die Kinder, die wir Tlaloc opfern. Momentan sind sie leer, werft ruhig einen Blick hinein!«, ermuntert er unseren Herrn. »Diese Räume sind sinnreich ausgestattet, überzeugt Euch nur selbst! Sie dienen als Kerker und gleichzeitig als Küchen, in denen die Gliedmaßen der Geopferten zubereitet werden.«
    Cortés ist dicht an eines der Fenster herangetreten und wirft einen raschen Blick ins Innere. Ich folge seinem Beispiel und pralle regelrecht zurück. Als Erstes ist mein Blick auf einen Bottich voller Knochen gefallen, an denen noch Fleischstücke kleben.
    »Gleichzeitig?«, wiederholt Alvarado, nachdem Marina übersetzt hat. »Wer noch nicht geopfert worden ist, muss also zusehen, wie diese Teufel die Überreste seiner Leidensgefährten kochen und braten?«
    Cortés macht Marina ein Zeichen, und anstatt die Frage zu übersetzen, beantwortet sie sie selbst. »Die Opfer bekommen vorher alle vom ›Fleisch der Götter‹ zu essen – das sind heilige Rauschpilze, nach deren Genuss man keinen Schrecken und keinen Schmerz mehr spürt.«
    Unser Herr starrt Cuitláhuac grimmig an. Wenn der Tätowierte jetzt bei uns wäre, sage ich mir – vielleicht würde Cortés ihm in seinem Zorn befehlen, augenblicklich die Huitzilopochtli-Pyramide hinaufzustürmen und die Götzenbilder in den Tempelbauten dort oben zu zertrümmern! So aber marschieren wir nur schweigsam hinter Montezumas Bruder her, der uns ohne weitere Erklärungen an der gewaltigen Pyramide vorbeiführt. Wahrscheinlich spürt er, wie sehr uns der Anblick des Opferkerkers erschüttert hat – und vielleicht wollte er ja gerade das mit seiner Vorführung erreichen.
    Der Königspalast zieht sich die gesamte Nordseite des gigantischen Platzes entlang. Er ist größer als jedes andere Bauwerk im Herz Unserer Welt, auch wenn ihn die blutverkrustete Huitzilopochtli-Pyramide überragt. Seine Außenmauern sind schimmernd weiß und mit Jaguar- und Adlermotiven in leuchtenden Farben geschmückt. Vor siebzehn Jahren, erklärt Cuitláhuac, wurde dieser neue Königspalast erbaut, nachdem durch eine verheerende Überschwemmung große Teile von Tenochtitlan zerstört worden waren. Es ist gleichsam eine eigene kleine Stadt, mit Hundert Sälen, Dutzenden Nebengebäuden, Gärten und Parksin den zahlreichen Hinterhöfen. Der Königspalast beherbergt die gesamte Reichsverwaltung, Werkstätten für Goldschmiede, Federarbeiter und Bildhauer, Schatz- und Waffenkammern, Speicher und Magazine, Tempel für zahlreiche Götter und natürlich die Wohnungen für die häupterreiche königliche Familie.
    »Wie viele Häupter zählt seine Familie denn?«, frage ich und beiße mir auf die Unterlippe, als mich Cuitláhuacs finsterer Blick trifft. Aber nun ist es zu spät – die Frage ist heraus.
    »Der ehrwürdige Montezuma hat siebzehn Frauen«,

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