Goldfieber
Herr aber sitzt starr auf seinem Thron und schaut nachdenklich vor sich hin – und in diesem Moment wird mir noch etwas klar: Ihm ist es keineswegs egal, ob die Azteken tatsächlich dem Teufelsglauben verfallen sind! Ganz im Gegenteil, sage ich mir, Cortés ist wirklich von dem Wunsch erfüllt, den Indianern den wahren Glauben zu bringen! Deshalb hat er selbst schon in Potonchan die Priesterrobe übergestreift und zu Ostern von der Auferstehung unseres Erlösers gepredigt! Und deshalb hat er sogar eigens für die Tlaxcalteken-Herrscher einen theologischen Traktat verfasst – obwohl natürlich auch er wissen musste, dass sie seine Worte nicht lesen konnten! Doch es war ihm eben ein Herzensanliegen, sage ich mir, und das unterscheidet ihn so sehr von Alvarado, Portocarrero und sogar von Sandoval! Diesen dreien ist es immer nur ums Gold gegangen – für Cortés aber gehört das alles untrennbar zusammen: der Thron, der ihm durch prophetische Träume vorherbestimmt ist, die Bekehrung der Indianer und das Gold!
Ich starre Cortés unverwandt an und steigere mich geradezu in einen Rausch der Begeisterung hinein. So und nicht anders verhält es sich!, sage ich mir. Und aus allen diesen Gründen muss sich ihm ja auch die Frage aufdrängen, ob die Indianer nichtursprünglich einem Glauben anhingen, der unserem Glauben keineswegs so sehr fernsteht! Diese Frage muss ihn umso mehr beschäftigen, seit er begonnen hat, sich in die Rolle des gütigen Quetzalcoatl hineinzuversetzen! Hat Quetzalcoatl nicht große Ähnlichkeit mit unserem Erlöser Jesus Christus – so wie seine Schwester Xochiquetal unserer gütigen Madonna Maria gleicht?
»He, Orteguilla, du träumst ja mit offenen Augen!« Sandoval hat mich von hinten bei den Schultern gepackt und schiebt mich auf den Thron zu. »Du kannst es wohl nicht erwarten, deine Kleine zu sehen?«
Das Blut schießt mir in die Wangen. Alle starren mich an und lachen – sogar der Tätowierte und Fray Bartolomé. Nur Cortés bleibt vollkommen ernst.
»Hör mir gut zu, Orteguilla!«, sagt er. »Nachher werde ich Montezuma in seinem Palast einen Besuch abstatten – und du sollst mich begleiten. Du verstehst doch mittlerweile ihre Sprache?«
Ich hebe unsicher die Schultern. »Nicht besonders gut, Herr.«
Doch das scheint ihn nicht weiter zu bekümmern. »Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig, wie ich vorgehen werde«, sagt er in geistesabwesendem Tonfall. »Möglicherweise werde ich ihm vorschlagen, dass er und ich deine Pagendienste gemeinsam in Anspruch nehmen könnten.«
Meine Augen werden so groß wie Kanonenkugeln, jedenfalls fühlt es sich so an. »Gemeinsam, Herr?«, wiederhole ich. »Wie meint Ihr das?«
»Das wird sich zeigen«, antwortet Cortés. »Mir träumte, dass Montezuma und ich zusammen auf seinem Thron säßen und gemeinsam über sein Reich herrschten. Und dann wieder, im gleichen Traum, sah ich dich, Orteguilla, wie du zu Montezumas Füßen kauerst – und er erzählt dir in unaufhörlichem Redestrom alles, was wir von ihm zu wissen begehren!«
Ich muss krampfhaft schlucken. »Wollt Ihr, Herr, dass ich bei ihm bleibe – in seinem Palast?«
Cortés hat sich schon halb von mir abgewendet. Er winkt den Tätowierten zu sich heran, während er mir über die Schulter noch zuruft: »Vielleicht mache ich dich ihm zum Geschenk – natürlich nur zum Schein! Aber du selbst hast es in der Hand, Orteguilla!« Er wirft mir einen durchbohrenden Blick zu, und mit einem Schlag wird mir klar, wie er diese Worte gemeint hat: Finde heraus, wo Montezumas Schätze sind – wenn du nicht willst, dass wir Carlita befragen!
Ich verbeuge mich und weiche ein paar Schritte vom Thron zurück. »Ich sehe mit Freuden«, sagt Cortés eben zu Aguilar, »dass Ihr die Priesterrobe angezogen habt, die Fray Bartolomé Euch auf meinen Wunsch überlassen hat. Das ist gut so, denn Eure geistlichen Dienste werden bald schon gebraucht werden.«
Er winkt den Tätowierten näher zu sich heran. Mit dem Schildkrötenmuster an Gesicht, Hals und Händen, die aus der schwarzen Robe hervorschauen, sieht Aguilar wunderlich aus. »Haltet Euch in meiner Nähe, Fray Geronimo!«, fährt unser Herr fort. »Sehr bald schon werden wir dem Satan den großen Teufelstempel da drüben auf der anderen Seite des Platzes entreißen. Wir werden die Götzenbilder zertrümmern und in die Tiefe schleudern, wo sie hingehören! Wir werden den Tempel säubern und unserem Erlöser und der Muttergottes weihen – und Ihr, Fray
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