Goldfieber
merke ich, dass ihn wieder einmal jener kalte Zorn erfüllt. Zu seinen Füßen steht noch immer der abgeschlagene Kopf des armen Cuitlalpitoc, mit seinem eigenen Herzen zwischen den Zähnen. »Ihr seid mir noch eine Antwort schuldig, edler Freund«, sagt Cortés schließlich und sieht Montezuma durchbohrend an. »Wann werdet Ihr Euren Priestern befehlen, von ihren schändlichen Riten abzulassen?«
Marina übersetzt, und im nächsten Moment wird Montezumas Miene so düster, dass mir der Schrecken in die Glieder fährt. Jeder Anschein von Freundlichkeit, von Scheu oder gar Furcht ist mit einem Mal von ihm abgefallen. Grimmig starrt er unseren Herrn an, und es bereitet ihm ersichtlich Mühe, seinen Zorn wieder herunterzuschlucken.
»Nun, davon kann gar keine Rede sein«, sagt er schließlich mit einem mühsamen Lächeln. »Geht jetzt, mein Freund«, fügt er hinzu, »und erfreut Euch des schmackhaften Abendessens, das meine Diener im Palast meines Vaters für Euch zubereitet haben.«
Nur die barsche Handbewegung, mit der er uns aus dem Saal weist, lässt noch erahnen, wie heiß der Zorn weiterhin in ihm kocht. Doch ich bin unendlich erleichtert, als Cortés mir zu verstehen gibt, dass ich ihm folgen soll.
Dem Herrn sei Dank, ich muss nicht allein bei Montezuma bleiben!
»Wir haben unsere Pflicht getan«, sagt Cortés im Hinausgehen zu Sandoval. »Natürlich war das hier nur der erste Versuch.«
»Mit dem nächsten sollten wir uns nicht übereilen«, antwortet Sandoval.
Still für mich stimme ich ihm zu. Auch ohne mich noch einmal umzuwenden, sehe ich den unglücklichen Cuitlalpitoc vor mir, wie er uns von seiner Kupferplatte aus hinterherstarrt.
- 8 -
Die Große Pyramide ist so hoch wie ein kleiner Berg und beinahe so steil wie eine Hauswand. Hundertunddreizehn Stufen führen an jeder Seite zum First mit der Tempelanlage hinauf.
Montezuma persönlich führt unseren Herrn zum Allerheiligsten der Azteken empor. Es ist der zweite Tag nach unserer Ankunft in Tenochtitlan. Der Aztekenherrscher trägt auch diesmal ein Gewand aus türkisblauen Vogelfedern und seine Füße stecken in goldenen Schnürsandalen. Eine unabsehbar große Schar von Dienern und Wächtern, Ratgebern und Priestern umgibt ihn. Doch als zwei Diener ihn beim Aufstieg stützen wollen, stößt er sie zurück und erklimmt die kolossalen Stufen so leichtfüßig wie ein junger Geißbock.
Cortés bleibt nichts anderes übrig, als seinem Beispiel zu folgen. Auch er weist die hilfreichen Hände der Diener zurück und klettert eilends hinter dem Aztekenherrscher her. »Ihr seid in guter Verfassung!«, lobt er Montezuma. »Ihr steigt wohl öfter hier hinauf?«
Sein Atem geht ein wenig keuchend. Montezuma wirft ihm von der Seite einen Blick zu, der beinahe kindlichen Stolz verrät. »Fast jeden Tag«, bestätigt er. »Aber mehr noch als durch diese Übung kräftige ich mich durch den Krieg.« Er schießt einen weiteren Seitenblick auf Cortés ab, doch der verzieht keine Miene. Ohnehin hat unser Herr seine liebe Mühe, um mit Montezuma auf der nahezu senkrechten Treppe Schritt zu halten.
Marina musste auf dem Platz zurückbleiben, bewacht von einem halben Dutzend unserer Männer und ebenso vielen aztekischen Wächtern. Nun steht sie unten am Fuß der Pyramide, neben einem kunstvollen Bodenrelief, und schaut uns mit weit in den Nacken gelegtem Kopf hinterher. Das Relief stellt Coyolxauhqui dar, die Schwester von Huitzilopochtli – so jedenfalls hat es uns Montezuma eben erklärt. Der schreckliche Kriegsgott hat seiner Schwester einst den Kopf abgerissen und ihn in den Himmel emporgeschleudert, wo er seither als Mond um die Erde kreist.
»Huitzilopochtli duldet keine Frauen in seinem Tempel!«, hat Montezuma verkündet. »Er verschmäht weibisches Geschwätz genauso wie weibliches Opferfleisch!«
Atemlos klettere ich hinter unserem Herrn und dem Aztekenherrscher her. Alvarado und Sandoval, Fray Bartolomé und etliche unserer Wachsoldaten stapfen hinterdrein. Mir ist ein wenig übel vor Aufregung, weil ich zwischen Cortés und Montezuma dolmetschen muss. Eigentlich sollte Fray Geronimo diese Aufgabe übernehmen, aber der Tätowierte hat mit Schwindelanfällen zu kämpfen. Von vier Dienern mehr getragen als geleitet, schleppt er sich weit hinter uns die Treppe hoch. Mit Montezumas vornehmem Nahuatl komme ich besser zurecht, als ich selbst das erwartet hatte. Aber manche aztekischen Wörter sind einfach Zungenbrecher, die ich beim besten Willen nicht über
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