Goldfieber
mir, »und dreihundertfünfzig davon sind Späher und Spione! Ich komme mir vor wie in einem Spinnennetz, mein Retter!«
Der »Würdevolle« ist keineswegs der Einzige, der immer tiefer in düsteren Gedanken versinkt. »Wie soll das alles weitergehen, Hernán?«, fragt nun sogar Sandoval. »Wir haben es zwar bis ins Herz des Aztekenreichs geschafft, aber jetzt stehen wir vor drei turmhohen Hürden.«
Es ist die Mittagsstunde am fünften Tag nach unserer Ankunft in Tenochtitlan. Wieder einmal haben wir uns im Thronsaal unseresPalastes versammelt. Cortés sitzt auf dem Thron, wir anderen auf den kunstvoll geschnitzten Holzsesseln im Halbkreis davor. Nur Sandoval geht ruhelos auf und ab.
»Erstens«, sagt er und reckt den Daumen seiner rechten Hand empor, »wie finden wir heraus, wo Montezuma seine Goldschätze hortet? Zweitens« – der Zeigefinger – »wie bringen wir ihn dazu, uns sein Gold zu übergeben?« Er lässt seinen Mittelfinger hervorschnellen. »Und drittens: Wie schaffen wir es, dieses Schlangennest wieder zu verlassen – und zwar lebendig und mitsamt den Goldschätzen, die wir dann hoffentlich zusammengerafft haben?«
Cortés schüttelt missbilligend den Kopf. Die roten Federn an seinem Hut wogen hin und her. »Wir sind keine Räuber, Gonzalo, muss ich dich wirklich daran erinnern?«, fragt er. »Montezuma muss unseren Glauben annehmen und die Herrschaft über sein Reich in meine Hände legen«, fährt er fort, »alles andere ergibt sich dann von selbst.«
»Und wie willst du diesen verschissenen Teufelsanbeter dazu bringen?«, brüllt Portocarrero und springt auf. »Würdest du uns das bitte mal verraten, Quetzal-Cortés?« Sein Gesicht wird erst feuerrot und dann so blau wie Kolibrifedern.
Unser Herr schaut geistesabwesend vor sich hin. Außer seinen Vertrauten, den beiden Fratres, Marina und mir ist glücklicherweise niemand anwesend, der diesen Streit mit anhören könnte. Aber natürlich spüren auch unsere Soldaten und sogar unsere tlaxcaltekischen Verbündeten, dass es für unsere Sache nicht zum Besten steht. Wir sitzen fest und können weder voran noch zurück!
»Letzte Nacht träumte mir wieder, dass ich mit Montezuma auf dem Thron sitze und Orteguilla uns beiden Pagendienste leistet«, sagt Cortés zu niemand Bestimmtem. Abermals schaut er mindestens eine Minute lang ins Leere. »Wenn wir nur an unserem Glauben unerschütterlich festhalten, kann uns der Teufelmit all seinen Heerscharen nichts anhaben«, verkündet er schließlich. »Wir werden eine Marienkapelle bauen – hier im Palast!«
Portocarrero, Alvarado und Sandoval wechseln grimmige Blicke.
»Denkt darüber nach, wo wir die Kapelle errichten sollten!«, weist Cortés uns an. »Betet um Erleuchtung, damit wir den richtigen Ort finden! Heute Abend bei Sonnenuntergang will ich eure Vorschläge hören. Auch deinen, Orteguilla«, fügt er hinzu und sieht mich durchbohrend an.
Verwirrt nicke ich ihm zu – ich habe keine Ahnung, was er jetzt von mir erwartet. Oder überhaupt, warum es so wichtig sein soll, wo wir die Kapelle errichten. Natürlich, es wird unseren Mut und unsere Zuversicht stärken, wenn wir uns an einem geweihten Ort versammeln und die Muttergottes anflehen können, uns den rechten Weg zu weisen. Aber ob der Zimmerer Mendoza unseren Altar nun neben dem Thronsaal aufstellt oder in einem der Nebengebäude – das kann doch eigentlich keine Rolle spielen!
Unter diesen Gedanken gehe ich hinaus in den Innenhof und suche nach Carlita. Seit wir hier in Tenochtitlan sind, habe ich sie nur noch selten zu sehen bekommen – und auch dann jedes Mal nur für ein paar heimliche Minuten. Schließlich ist sie jetzt eine tlaxcaltekische Sklavin und Montezumas Diener beobachten uns alle auf Schritt und Tritt. Und wie groß ist die Gefahr, dass einer von ihnen sie wiedererkennen könnte!
Solange sie sich immer nur bei den tlaxcaltekischen Mädchen und Frauen aufhält, wird wohl keiner von Montezumas Spähern auf den Gedanken kommen, dass sie in Wahrheit die junge Edeldame Carapitzli ist, die sich vor zwei Jahren eines todeswürdigen Verbrechens schuldig gemacht hat. Ohnehin müssen sie hier ja alle glauben, dass keine der Priesterinnen, die an der »Ringelblumen-Verschwörung« beteiligt waren, jene Nacht überlebt hat. Abernoch als Mädchen von zwölf und dreizehn Jahren war Carlita mit zwei Nichten Montezumas befreundet und ging in seinem Palast aus und ein. Da könnte ein einziger Moment genügen, in dem ein königlicher
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