Goldfieber
Schlangenhäuser und selbst die Alligatorsümpfe, die von einer hohen Mauer umschlossen waren.
Durch schmale Sehschlitze konnte man in das düstere Reich der Panzerechsen hinüberspähen. Meist lagen diese Ungeheuer nur reglos wie Treibholz im dampfenden Schlamm, und doch sahen sie so gefährlich aus, dass vielleicht sogar den Jaguaren vor ihnen graute.
Die grellen Angst- und Alarmschreie der Vögel klingen mir noch immer in den Ohren. Ebenso das Fauchen der Raubkatzen, die Rufe der Affen – und das albtraumhafte Röcheln und Winseln aus jenem Bauwerk hinter den Alligatorsümpfen. Unter dem Kommando von Tapia brachen unsere Männer das Haus der Vögel auf. Seine Wände bestanden aus Bambusgittern und es bot Scharen von Papageien und Quetzal-Vögeln sowie Hunderten Kolibris Platz.
Montezuma hatte nicht erwähnt, wo genau der Goldschatz versteckt war. Doch Tapia befahl unseren tlaxcaltekischen Sklavenaufs Geratewohl, den Boden unter dem Kolibrigehege aufzuhacken, und nach kurzer Zeit kam eine reich verzierte Steinplatte zum Vorschein. Darunter befand sich eine sorgsam gemauerte Kammer, ungefähr fünf auf fünf Schritte groß und etwa ebenso hoch. Sie enthielt keinerlei Götzenbildnisse, Kunstwerke oder Schmuckstücke, doch sie war bis zum Rand mit Goldbarren und Säcken voller Goldstaub gefüllt.
Cortés kauerte am Rand des Erdlochs, sein Gesicht war verzerrt und in seinen Augen war jener fiebrige Glanz. Er schien nicht einmal zu bemerken, dass er die Säume seines Umhangs mit Vogelkot verschmutzte. Ich überlegte, wie ich ihn von dort weglocken konnte, ehe das Goldfieber noch mehr Gewalt über ihn bekam. Zu sehen, wie er dort im Dreck kniete und gierig in die Schatzhöhle hinabspähte, während Hunderte Vögel kreischend zwischen den zerbrochenen Gitterwänden umherstoben, tat mir richtiggehend weh.
»Habt Ihr einen Augenblick Zeit, Herr?«, fragte ich schließlich und kauerte mich neben ihn. »Mir ist etwas aufgefallen, das ich Euch zeigen möchte.«
Erstaunt schaute er mich an. Doch nachdem er noch einige Anweisungen erteilt hatte, gelang es mir, ihn von der Schatzhöhle fortzulocken. »Pass nur auf, Cristóbal, dass kein Krümel in irgendwelchen Taschen verschwindet!«, rief er Tapia noch zu. »Du bist mir persönlich verantwortlich dafür!«
Der »Würdevolle« salutierte. »Seid unbesorgt, Kapitän-General!«, antwortete er. »Ich passe auf wie ein Adler.«
Mir war ziemlich mulmig zumute, als ich Cortés zwischen dem Jaguarkäfig und dem Schlangenhaus hindurch zu den Alligatorsümpfen führte. »Das Bauwerk dort hinten«, sagte ich und zeigte auf den unscheinbaren Flachbau. »Vorhin, als ich mir die Alligatoren angesehen habe, hörte ich von dort ein sonderbares Gewinsel. Ich fragte einen der Wächter, aber der sagte nur, dass dort ›lebendiges Futter‹ gelagert würde.«
Cortés sah mich argwöhnisch an. »Und jetzt glaubst du, dass dort Menschen eingesperrt sind?« Offenbar versuchte er herauszufinden, worauf ich eigentlich hinauswollte – doch das wusste ich selbst nicht so genau.
Ich zuckte mit den Schultern. »Dieses Gewinsel – es klang nicht nach Ratten, Mäusen oder was immer sie hier unter ›lebendigem Tierfutter‹ verstehen. Es klang wie …« Ich unterbrach mich mitten im Satz. »Da ist es wieder – hört Ihr?«
Warum habe ich Cortés gerade zu dieser grässlichen Stätte geführt?, frage ich mich nun zum wiederholten Mal. Aus Mitleid mit den dort eingekerkerten Kreaturen? Das sicherlich auch. Aber ich würde mich selbst belügen, wollte ich behaupten, dass ich hauptsächlich aus Mitgefühl handelte. Irgendwie hat es wohl auch – oder sogar vor allem – mit Leonel zu tun. Mit meinem vom Glück begünstigten Bruder, der sich, als wir beide noch Kinder waren, in der Nachbarschaft einen Vertrauten suchte – nicht anders, als Montezuma unserem Herrn seine brüderliche Liebe geschenkt hat!
Wie dem auch sein mag: Tief in mir spürte ich jedenfalls ein altvertrautes eifersüchtiges Brennen – obwohl ich ja wusste, dass Cortés seine brüderliche Zuneigung zu Montezuma nur aus Berechnung vortäuschte. Ein Teil von mir konnte es einfach nicht ertragen, dass diese beiden sich scheinbar so gut verstanden – weil ihr Bündnis auf Kosten eines Dritten ging, des wahren Bruders! Dieser ausgebootete Dritte war in fernen Kindertagen ich selbst gewesen – hier und heute aber ist es Montezumas Bruder Cuitláhuac, der grimmige Heereskommandeur.
Was für ein Wahnsinn!, denke ich jetzt, nachdem
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