Goldfieber
ich diese letzten Sätze noch einmal gelesen habe. Cuitláhuac ist unser ärgster, gefährlichster Gegner – aber irgendetwas tief in mir fühlte dennoch mit ihm! Mit ihm, dem zurückgesetzten Bruder, der gewiss ein weiserer, mutigerer Herrscher gewesen wäre!
Montezuma hat es nicht verdient, auf dem Thron zu sitzen!, zischte jene innere Stimme mir zu. Er hat es nicht verdient, dassCortés ihm seine brüderliche Freundschaft schenkt – und sei es auch nur zum Schein! Das alles gebührt einzig mir!, zischte es in mir – und wohl auch aus diesen dunklen Herzensgründen lenkte ich damals die Blicke unseres Herrn auf das »Menschentierhaus«. Ich wollte, dass er Montezuma nicht länger achtungsvoll behandelte. Ich wollte, dass er ihn schmähte und von sich stieß! Oder vielmehr – ich, sein getreuer Page, wollte all das natürlich nicht! Aber jene Stimme tief in mir wollte es umso mehr.
»Also los«, sagte Cortés, »sehen wir es uns an.«
Wir gingen um die Alligatorsümpfe herum zu dem abweisenden Bauwerk. Zwei Wächter standen vor der Tür, und Cortés befahl ihnen, den Eingang freizugeben. Sie wechselten angstvolle Blicke und liefen Hals über Kopf davon. Cortés nickte mir zu und da stieß ich die Tür auf.
Finsternis quoll uns entgegen, so dick wie die Tinte, mit der ich diese Sätze schreibe, dazu ein in der Kehle würgender Gestank. Mit bebenden Händen kramte ich in meinen Taschen. Ach, hätte ich doch nichts gefunden, womit sich ein Licht anzünden ließ! Aber wie stets hatte ich alles Nötige bei mir und schaffte es nach einigem Gezittere auch, einen Kienspan anzuzünden.
Cortés trat ein und schob mich dabei vor sich her. Zu sehen war nach wie vor so gut wie nichts. Doch ich spürte, dass irgendwo zu meiner Rechten die »Menschentiere« sein mussten.
»Da vorne – Fackeln«, sagte Cortés. »Zünde sie an!«
Ich tappte fast blindlings in die Richtung, in die er mich schob, und stieß gegen eine Fackel, die senkrecht aus dem Boden ragte. Ich zündete sie an und entdeckte weitere Fackeln, ging wie ein Schlafwandler von einer zur anderen und setzte sie in Brand.
Dann erst wandte ich mich nach rechts, wo die Grube mit den »Menschentieren« sein musste. Im Voraus schon hielt ich den Atem an, auf einen entsetzlichen Anblick gefasst. Doch was ich zu sehen bekam, war so über alle Maßen grauenvoll, dass nicht einmal die grellste Einbildung mich hätte wappnen können.
Es war der Abgrund der Hölle, nichts anderes! Ein Loch voller Schlamm, in dem sich Schlangen wanden und in dem ein Dutzend elender Kreaturen an Pfähle angebunden kauerte und lag. Augenpaare, die geblendet ins Licht blinzelten, ausgemergelte Gesichter, von Grauen, Schmerz und Verzweiflung entstellt. Knochige Hände streckten sich uns entgegen, zahnlose Münder öffneten sich und stießen jenes Winseln und schwankende Heulen aus, das ich von den Alligatorsümpfen aus gehört hatte.
»Eine Hölle auf Erden, wenn es je eine gegeben hat!«, presste Cortés zwischen den Zähnen hervor. »Viel zu lange habe ich Nachsicht geübt! Aber jetzt wird ausgemistet!«
Er winkte mir, ihm zu folgen, und stürmte davon. Niemals vorher habe ich ihn derart wütend gesehen. Er schien sogar das Gold vergessen zu haben – jedenfalls würdigte er das Haus der Vögel keines Blickes, sondern eilte geradewegs zurück zu unserem Palast. Dort stellte er jedoch nicht etwa Montezuma zur Rede, wie ich das befürchtet (und ein Teil von mir es wohl insgeheim erhofft) hatte. Vielmehr rief er Portocarrero, Alvarado, die beiden Patres und unseren Festungskommandanten Guerrero zu sich.
»Verdopple die Torwachen!«, befahl er Guerrero. »Montezuma darf den Palast nicht verlassen, bis ich es ausdrücklich erlaube.«
»Was habt Ihr vor, Kapitän-General?«, wagte Guerrero zu fragen.
Unser Herr packte ihn wortlos bei den Schultern und stieß ihn in Richtung Treppe. »Jetzt wird nicht mehr disputiert und gezögert – jetzt wird ausgemistet!«, rief er aus. Sein Gesicht war grau und verzerrt vor Wut. »Folgt mir!«, befahl er dem Dröhnenden und dem Durchtriebenen. »Nehmt dreißig Bewaffnete mit! Jeder soll einen Eisenknüppel unter seinem Gewand verbergen. Und ihr kommt auch mit!«, wies er Fray Bartolomé und den Tätowierten an.
Damit stürmte er wieder los, die Treppe hinab und zum Tor. Mich hielt er am Handgelenk fest und zog mich hinter sich her. Gewiss ahnte er, dass ich mich am liebsten davongestohlen hätte,und wahrscheinlich spürte er auch, wie aufgewühlt ich
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