Goldfieber
Pyramidenfirst stieß einer der Priester einen markerschütternden Pfiff mit seiner Muscheltrompete aus. »Feuer! Zu Hilfe!«, schrie er. »Der Tiergarten brennt!«
Die Götzenpriester begannen nun allesamt zu zetern und zu wehklagen. Sie schrien, dass sich Tlaloc und Huitzilopochtli für ihre Vertreibung aus den Tempeln grässlich rächen würden – das Feuer im Tiergarten sei schon der Anfang ihres Rachefeldzugs!
Doch Fray Geronimo befahl ihnen, die blutverkrusteten Bildsäulen unverzüglich ins Freie zu schaffen. Mit einer Vielzahl von Seilen, Holzrollen und Matten ließen sie die Götzenbilder geschickt auf den fast senkrechten Stufen hinabgleiten und brachten sie auf einem Boot über den See davon.
Das Feuer verwüstete währenddessen den Tiergarten und einige Häuser im Umkreis. Es war im Lager für lebendiges Tierfutter ausgebrochen, in dem irgendjemand leichtsinnigerweise einige Fackeln angezündet hatte. »Meine herrlichen Jaguare und sogar meine Ozelots sind elend in den Flammen umgekommen!«, erzählte Montezuma am nächsten Tag unserem Herrn.
Die »Menschentiere« erwähnten weder er noch Cortés auch nur mit einem Wort.
ZEHNTES KAPITEL
Eine Nacht so schwarz vor Schmerz
- 1 -
Tenochtitlan, am 15. Mai im 1520. Jahr des Herrn. Vor meinem Kerkerfenster im zweiten Obergeschoss des Palastes dämmert der Abend. Und doch schwebt die steinerne Kanonenkugel wieder hoch oben am Himmel – ich sehe sie vor mir, sowie ich meine Augen schließe. Sie sieht wirklich fast so glänzend und mächtig wie die Sonne aus – und im nächsten Moment beginnt sie zu stürzen, ein wirbelnder Steinbrocken, der beim Aufprall auf die Erde in Tausend Krumen zerstieben wird …
Draußen auf dem Platz werden unterdessen immer noch weitere Pfähle aufgerichtet – mittlerweile müssen es schon etliche Hundert sein. Es ist ein unheimlicher, höchst beunruhigender Anblick: Wozu sollen diese vielen Pfähle gut sein, wenn nicht dazu, eben so viele Opfer daran festzubinden? Und wer könnten diese Opfer sein – wenn nicht wir, die verhassten Fremden? Seit wir nach Tenochtitlan gekommen sind, hat sich den Azteken niemals eine bessere Gelegenheit geboten, uns wieder loszuwerden. Unser Herr muss mittlerweile schon weit unten im Tiefland sein, im Land der Totonaken – und mit ihm zwei Drittel unserer Männer und die Hälfte unserer tlaxcaltekischen Kämpfer!
Es ist wahr, Cortés selbst hat Montezuma schon vor Monaten erlaubt, dieses Götzenfest zu feiern – natürlich ohne Menschenopfer und ohne die Götzenbilder wieder aus ihrem Versteck hervorzuholen.Doch damals wusste er ja noch nicht, dass er just zu dieser Zeit würde ins Tiefland marschieren müssen. Er, der sonst immer alles vorausberechnet hat – diese Katastrophe hat nicht einmal er vorhergesehen.
Aber der Reihe nach! Zunächst einmal zwang Fray Geronimo die Götzenpriester, die Große Pyramide mitsamt beiden Tempeln zu säubern und strahlend weiß zu tünchen. Jesus Mendoza zimmerte einen Altar und ein fast hundert Fuß hohes Holzkreuz. Fray Bartolomé steuerte eine anmutig lächelnde Muttergottes aus seinen scheinbar unerschöpflichen Vorräten bei. Etwa zwei Wochen nachdem die Götzen aus ihren Tempeln vertrieben worden waren, weihten unsere Patres die Marienkapelle auf der Pyramide mit einer Heiligen Messe ein. Am selben Tag erneuerte Montezuma sein Versprechen, sich zu Ostern taufen zu lassen, und gelobte überdies, dass seine Priester in der ganzen Stadt fortan auf Menschenopfer verzichten würden.
Zu jener Zeit war es auch, dass ich Carlita vorschlug, sich nicht länger bei den tlaxcaltekischen Sklavinnen zu verstecken. »Montezuma kann dir nichts mehr anhaben«, flüsterte ich in unserer Hütte auf sie ein. »Unser Herr ist jetzt auch der Oberste Richter der Stadt. Wenn du zustimmst, bitte ich ihn noch heute, dich wie Marina im Palast leben zu lassen. Vor allem aber will ich, dass er dich freilässt! Du sollst nicht länger eine Sklavin sein, Carlita«, flüsterte ich in ihr Ohr. »Ich liebe dich und nichts soll uns mehr trennen dürfen!«
Sie schaute mich ernst, ja feierlich an. »Ich liebe dich auch, Orte«, sagte sie. »Aber für uns gibt es kein gemeinsames Leben – und das weißt du so gut wie ich! Ich kann außerhalb meiner Welt nicht leben – so wenig wie du!« Sie küsste mich zärtlich, und als ich später noch einmal auf meinen Vorschlag zurückkommen wollte, verschloss sie meinen Mund mit ihrer Hand. »Sprich nicht mehr davon«, sagte sie, »es tut mir
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