Goldfieber
Packpferde trotten hinterdrein – und da bricht der Holzsteg unter ihnen entzwei! Es kracht und knirscht entsetzlich und die Pferde stoßen erbärmliche Wieherschreie aus. Escobar flucht und versucht, sich aus den Steigbügeln und dem Gewirr der Zügel zu befreien. Aber es hilft alles nichts: Unter ihm öffnet sich ein Abgrund, der ihn mit allen fünf Pferden verschlingt!
Sandoval, Diego, Marina, sogar unsere beiden Priester – alle schreien und stöhnen wie aus einer einzigen Kehle auf, als vor unseren Augen die unermesslichen Goldschätze untergehen.Nur unser Herr schaut stumm und scheinbar ungerührt in das schwarze Wasser hinab. Weder von Escobar noch von einem der Pferde ist auch nur die geringste Spur zu sehen. Der See hat sie verschluckt – und ich ahne, dass er sie auch nicht wieder hergeben wird. So wenig wie das Gold.
»Weiter!«, ruft Cortés und deutet gebieterisch auf den offenen See hinaus. »Den Schatz holen wir uns später zurück!«
Diego schaut mich aus weit aufgerissenen Augen an. »Was hat er da gesagt?«, fragt er. Und wieder komme ich nicht dazu, ihm zu antworten, aber ich hätte auch diesmal keine Antwort gewusst.
Der Dammweg vor und hinter uns wimmelt vor aztekischen Kriegern. Diego hat längst sein Kurzschwert aus dem Gürtel gezogen und verteidigt sich selbst, die Priester und die Frauen, so gut es gehen mag.
Ich bin kein mutiger Kämpfer, ich bin es nie gewesen. Ich verabscheue den Krieg, und er zahlt es mir heim, indem er mich zu Tode ängstigt. Aber jetzt bleibt auch mir keine Wahl mehr: Ich beuge mich zu einem unserer Männer hinab, die kreuz und quer auf dem Dammweg liegen, so starr, wie nur Tote daliegen können. Ich nehme ihm weg, was er nie wieder brauchen wird – seinen Schild, seinen Helm und sein Schwert. Aus seinen Taschen schimmert es golden hervor, aber die rühre ich nicht an.
Das Schwert ist so schwer, dass ich den Knauf mit beiden Händen umklammern muss. Ich schwinge es hoch empor und lasse es niedersausen. Bis in meine Schultern hinein spüre ich, wie die furchtbare Klinge in einen Körper fährt und durch ihn hindurchgeht. Bitte verzeih mir, Carlita!, denke ich wieder. Ich will das hier nicht tun, ich verabscheue es, aber mir bleibt keine Wahl! Ich will leben, auch wenn ich im Moment überhaupt nicht weiß, wie und wozu! Aber ich kann und will mich nicht einfach so abschlachten lassen – und so schwinge ich mein Schwert und kämpfe mich den Dammweg voran, auf das Westufer zu, das quälend langsam näher rückt.
Schließlich stehen wir vor der nächsten Lücke im Damm, doch nun haben wir keinen Steg mehr – nur noch ein sieben oder acht Schritte breites Loch vor uns, mit schwarzem Wasser gefüllt! Die Azteken beschießen uns vom See her mit Speeren und Pfeilen. Sie sind überall, auch auf dem Weg um uns herum, und für jeden Krieger, den mein Schwert trifft, scheinen drei weitere aus dem Boden zu wachsen.
»Springt!«, schreit Sandoval und macht es uns auch gleich vor. Er schwingt sich aus dem Sattel, springt in den See hinab und zieht sein sich sträubendes Pferd am Zügel hinter sich her. Seine Stute wiehert erschrocken, mit gewaltigem Platschen schlagen Pferd und Reiter auf dem Wasser auf. Doch kurz darauf sehe ich den »Tollkühnen« neben dem Damm mit Händen und Füßen paddeln, und sein Pferd folgt ihm schnaubend und mit den Hufen stampfend. »Bis zum Ufer … eine Viertelmeile!«, hören wir Sandovals abgerissene Rufe, dann verschlucken ihn der Nebel und die Nacht.
Unser Herr schwingt sich aus dem Sattel. Mit seiner Schwerthand wehrt er die Angreifer ab, mit seiner Linken packt er Marina beim Handgelenk. »Die Armbrustschützen geben uns Feuerschutz!«, ruft er. »Alle anderen mir nach! Hinab in den See und auf zu neuen Ufern!« Es klingt wahrhaftig so, als ob ihn diese irrwitzige Verfolgungsjagd erfreuen würde!
Unsere Armbrustschützen senden Pfeil auf Pfeil in die Nebelschwaden hinaus und halten die Kanus auf Abstand. Beklommen sehe ich zu, wie unser Herr in die Tiefe springt, die schreiende Marina an seiner Seite und seinen Schimmelhengst im Schlepptau. Wie Sandoval tauchen sie kurz darauf aus den Fluten auf und streben prustend und paddelnd dem Ufer entgegen.
Immer paarweise, Hand in Hand, springen nun eine Frau und ein Page in den See hinab, bis von unserer Gruppe schließlich nur Aguilar und ich noch übrig sind. Der Tätowierte reicht mir seine Hand, und nach kurzem Zögern ergreife ich sie und ziehe ihn mitmir, wie Cortés es machen
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