Goldfieber
aber es ist nur ein zaghaftes Zucken. Viel lauter als ihre Rufe ist der jubelnde Dreiton, der in diesem Moment aus dem Horn unseres Fahnenträgers erschallt. Unser Heerzug wendet sich um und marschiert zurück zum Rio Grijalva. Als ich noch einmal über meine Schulter schaue, stehen die Indianer und ihr hochgewachsener Gesandter wie erstarrt vor dem Torturm, beinahe so, als ob sie selbst zu Skulpturen versteinert wären.
Vielleicht hat Cortés ja deshalb dem Tabasco-Fluss gerade diesen neuen Namen gegeben, geht es mir durch den Kopf – damit Grijalvas Verzagtheit die Indianer von Potonchan ergreift?
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Zwei Tage später sitzen wir immer noch im Hüttendorf auf der anderen Flussseite und scheinbar geschieht überhaupt nichts. Das Tor drüben in der Stadtmauer bleibt Tag und Nacht verschlossen und auf dem riesigen Vorplatz lässt sich kein Indianer sehen. Natürlich wagt niemand in unserem Lager, offen gegen Cortés’ Pläne aufzubegehren, aber genauso wenig versteht irgendjemand, wie diese Pläne überhaupt aussehen. Außer seinen Vertrauten, der ungleichen Dreiheit, doch die wagt auch niemand zu fragen.
Mit starrer Miene marschiert Cortés auf und ab, wie es seine Gewohnheit ist. Mal unten am Flussufer, mal oben am Waldrand, scheinbar blicklos, Stunde um Stunde. Gestern hat er weitere Kompanien von den Schiffen herbeibeordert. Unter der Führung von Alvarado und einem schon älteren Konquistador namens Alonso de Avila fuhren sie in einem halben Dutzend Booten weiter den Fluss hinauf. Sie sollen erkunden, ob es dort oben eineMöglichkeit gibt, rasch und unbemerkt auf die Hinterseite der Stadt zu gelangen.
Aber heißt das, dass sich unser Herr allen Ernstes entschlossen hat, Potonchan anzugreifen? Mit fünfhundertfünfzig Konquistadoren gegen zehntausend oder noch mehr Indianer, die in einer festungsartigen Stadt verschanzt sind? Von früh bis spät rätseln Diego und ich an dieser Frage herum. Dabei streifen wir durch das Lager und ab und zu wechseln wir auch ein paar Worte mit anderen Pagen und Knappen. Aber sehr viel mehr als »Hallo« und »Wie geht’s?« lassen wir uns nicht entlocken, obwohl die meisten der anderen Jungen einen ihrer kleinen Finger hergeben würden, wenn sie dadurch mein oder Diegos Vertrauen gewinnen könnten.
Doch wir sind nun einmal die Pagen des Caudillo und deshalb dürfen wir eigentlich mit niemandem sprechen außer mit Cortés selbst. Und auch das natürlich nur, wenn er uns eine Frage stellt oder wenn unsere Pflichten erfordern, dass wir ihm Meldung erstatten. Darüber hinaus ist es uns stillschweigend erlaubt, mit Cortés’ Vertrauten zu sprechen, aber dass Portocarrero, Alvarado oder unser strahlender Held Sandoval das Wort an uns richten, kommt sehr selten vor. Und so bleiben Diego und ich meistens unter uns und beobachten unseren Herrn unaufhörlich, damit uns nicht der kleinste Wink von ihm entgeht.
Meistens ruft er Diego am frühen Vormittag zu sich, um ihm Briefe oder Berichte zu diktieren. Mich dagegen winkt er zu vollkommen unvorhersehbaren Zeitpunkten zu sich heran. So wie beispielsweise gestern, als er plötzlich ein Gespräch mit mir über Geronimo de Aguilar begann. Der einstige Minoritenmönch ist mittlerweile wieder so weit bei Kräften, dass Cortés ihn von der Santa Maria in unser Lager beordern will. »Er hat nicht die geringste Erinnerung daran, was zwischen euch beiden passiert ist«, sagte Cortés zu mir. »Daran, dass er dich für seinen Bruder Carlos gehalten und dir unter Tränen gebeichtet hat, dass er hiermit einer Indianerin verheiratet war. Mir hat er erzählt, er sei gegen seinen Willen mit diesem Schildkrötenmuster tätowiert und all die Jahre wie ein Gefangener gehalten worden – mal in einem Käfig, dann wieder in einer Erdhöhle. Und bis auf Weiteres«, fügte Cortés hinzu, »werden wir ihn in dem Glauben belassen, dass wir seine wahre Geschichte nicht kennen.«
Er legte mir seine Hände auf die Schultern und sah mich aus seinen dunklen Augen durchbohrend an. »Aguilar trägt sowieso schon schwer an der Sündenlast, die er auf sich geladen hat«, erklärte mir Cortés. »Wenn er herausbekommt, dass wir von diesen Sünden auch noch bis ins Einzelne wissen, würde er sich das Leben nehmen oder zumindest vor Verzweiflung kein Wort mehr herausbringen. Also müssen wir ihn schonen, denn wir brauchen einen Dolmetscher. Melchorejo ist nicht nur ein miserabler Übersetzer – er wird bei der nächsten Gelegenheit die Flucht ergreifen.«
Dazu
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