Goldfieber
lächelte Cortés so gelassen wie jemand, der regelmäßig Nachrichten aus der Zukunft erhält. Und bei allen Heiligen Kastiliens – in diesem Moment war ich mir sicher, dass er in der Zukunft wie in einem aufgeschlagenen Buch lesen kann!
»Wir werden die Stadt der Wilden umzingeln und ihre Mauern überrennen!«, sagt Diego jetzt zu mir und seine Augen leuchten vor Begeisterung. »Eine andere Möglichkeit bleibt uns doch gar nicht! Die Wilden haben sich da drüben verschanzt und warten einfach, dass wir wieder abziehen. Freiwillig bringen die uns keine Goldkrume und keinen einzigen Maisfladen mehr! Genau deshalb hat Cortés ja auch Alvarado und Avila ausgeschickt«, fügt Diego im Tonfall unerschütterlicher Gewissheit hinzu. »Er will die Stadt in die Zange nehmen – und wenn wir erst drinnen sind, werden wir ihren Goldschatz bis auf das letzte Staubkörnchen plündern!«
Ich schüttele den Kopf und schaue Diego missbilligend an. »Du redest ja, als ob wir eine Räuberbande wären«, sage ich. »Duhast doch gehört, was Cortés gesagt hat: Wir wollen nichts geschenkt haben und schon gar nicht werden wir ihnen mit Gewalt irgendetwas wegnehmen. Unser Herr will erreichen, dass sie uns freiwillig geben, was er von ihnen haben will – und sie sollen für alles gerechte Bezahlung erhalten.«
Wir stehen am Waldrand, hinter der doppelten Reihe der Rundhütten. Unmittelbar davor fällt die sandige Böschung zum Fluss hin ab, der im Licht der schon wieder sinkenden Sonne glitzert.
»Das glaubst du wirklich, oder?«, fragt Diego und schaut mich verwundert an. »Träum nur weiter, Orte – aber beklag dich nicht, wenn du demnächst durch Kanonenschüsse geweckt wirst!«
Ich beschirme meine Augen mit der flachen Hand und schaue zur Indianerstadt hinüber. »Hast du nicht gespürt, wie neugierig sie sind?«, frage ich zurück. »Sie haben Angst vor uns, aber sie platzen auch fast vor Wissbegierde! Und deshalb glaube ich, dass sie es da drüben hinter ihren Mauern nicht mehr lange aushalten werden.«
Diego starrt mich an. Er hat seinen Mund schon halb geöffnet, zweifellos, um mich einmal mehr als »Träumer« und was sonst noch zu verspotten. Aber im nächsten Moment wird sein Gesicht nachdenklich. »Neugierig?«, wiederholt er und wirft eine Hand in die Luft. »Na, warten wir’s ab!«
Auch der restliche Tag vergeht ohne besondere Zwischenfälle. Die Dunkelheit sinkt wieder herab und drüben in Potonchan werden abermals Hunderte Feuer und Fackeln angezündet. Die Trommeln wummern, die Flöten trillern noch lauter als in den Nächten zuvor. Zwei Boten treffen in unserem Lager ein – Diego und ich erkennen auf den ersten Blick, dass sie zu Alvarados Spähtrupp gehören. Eine Stunde später wird Geronimo de Aguilar ins Lager gebracht und sogleich zu der Hütte geführt, in der sich Cortés seit der Abenddämmerung mit Portocarrero und Sandoval berät.
Gegen Mitternacht legen Diego und ich uns in unsere Hängematten. Unsere Hütte steht direkt neben der Behausung, in der Cortés noch immer mit seinen beiden Vertrauten Pläne schmiedet. Die Boten haben sie längst wieder weggeschickt und der Tätowierte liegt neben Diego in einer Hängematte und schnarcht ungeheuer laut. Aber nicht allein diese Geräusche, auch nicht die Trommeln und Flöten oder die Tierschreie, das Knacken und Rascheln draußen im Dschungel rauben mir in dieser Nacht den Schlaf.
Heilige Muttergottes, bete ich wieder und wieder – bitte mach, dass wir auch hier in Potonchan keine Goldschätze finden! Ich habe doch gesehen, was das Goldfieber in den Köpfen und Herzen anrichten kann. Durst oder Hunger lassen sich stillen oder zumindest lindern, indem wir zu uns nehmen, wonach uns so sehr verlangt hat. Dagegen wird die Goldgier durch das gelbe Metall nicht gestillt, sondern nur noch ärger entfacht! Wer bloß ein wenig Gold besitzt, verfällt auch nur ein wenig dem Irrsinn, doch je mehr er davon an sich rafft, desto höher steigt sein Fieber. Also sei so gütig, heilige Maria, bete ich – und verschone Cortés und uns alle vor dem funkelnd gelben Wahn!
In Kuba, auf der Hazienda jenes Goldminenbesitzers, habe ich Männer gesehen, die zehn oder zwanzig Körbe voller Gold besaßen. Sie hätten in die Heimat zurückkehren, sich dort Schlösser und Ländereien kaufen und für den Rest ihres Lebens wie der Graf von Medellín Hof halten können. Aber nein, sie kehrten bei der ersten Gelegenheit in die Wildnis zurück, um dort aufs Neue mit der Spitzhacke, ja
Weitere Kostenlose Bücher