Goldfieber
Grauhaarigen sitzt ein kunstvoller Federschmuck, dessen Enden hinter ihm fast auf dem Boden schleifen, während er mit feierlichen Schritten durch die steinerne Allee auf uns zukommt. Für einen Indianer ist er ungewöhnlich hochgewachsen und sein Umhang aus Hirschleder ist über und über mit Goldstickereien verziert.
Unser Fahnenträger tritt zur Seite und Cortés schreitet dem Grauhaarigen ebenso feierlich entgegen. Als sie noch drei Schritte voneinander entfernt sind, bleiben beide gleichzeitig stehen. Auf ein Zeichen von Cortés hin hebt unser Fahnenträger sein Horn an die Lippen und spielt einen grandios aufsteigenden Fünfton. Es hört sich an, als ob ein Engel in den Himmel emporfliegen würde, doch der grauhaarige Indianer verzieht keine Miene.
Er knurrt irgendetwas und seine Begleiter stellen ihre Körbe vor Cortés ab. Dann beginnt er mit fauchender Stimme zu sprechen und ich greife hinter mich und ziehe Melchorejo zwischen zwei Konquistadoren hervor.
»Was hat er gesagt?«, flüstere ich. »Übersetze, Melchorejo – und keine Angst, du schaffst das schon!«
- 5 -
Melchorejo schlottert vor Angst und stammelt irgendetwas vollkommen Unverständliches vor sich hin. Ich sehe ihn von der Seite beschwörend an, und da steigt in mir eine Ahnung auf, was mit ihm los ist. Wahrscheinlich stammt er ursprünglich aus dieser Gegend und hat Angst, dass ihn seine Leute erkennen und als Verräter beschimpfen oder sogar töten werden.
»Keine Sorge, Melchorejo«, wiederhole ich flüsternd. »Sie werden dir nichts tun, bei uns bist du in Sicherheit!«
»Hier … hier wir euch bringen«, stammelt unser Dolmetscher, »sechsmal zwei Portionen Truthahn und Mais. Nehmt es, wir schenken es euch – und nun geht!«
Diese letzten Wörter bringt Melchorejo mit eingezogenem Kopf und nahezu winselnd hervor. Zweifellos ähnelt das, was uns der grauhaarige Indianer gebracht hat, sehr viel eher einer Schmähung als einem Geschenk. Jeder der sechs Körbe enthält zwei gebratene Truthahnschenkel, umwickelt mit Maisfladen und in Palmblätter gehüllt. Zwölf Rationen für ein sechzigmal größeres Heer!
Doch unser Herr scheint nicht im Mindesten erzürnt. Ein stilles Lächeln kräuselt seine Lippen. Während ich ihn ansehe, wird mir klar, warum er so heiter und mit sich selbst zufrieden wirkt: Was wir hier gerade erleben, hat er ganz genau so vorausgeträumt.
»Im Namen des allmächtigen Gottes und des Königs von Spanien«, antwortet Cortés, »danke ich dir für dein Geschenk, Herrscher von Potonchan. Wenn du mir nun auch noch verrätst, wie ich meine Männer mit einem Dutzend Rationen satt bekommen kann, will ich deinen Wunsch sogleich erfüllen.« Er wendet sich halb um und deutet mit ausgestrecktem Arm auf unsere Streitmacht. »Das hier sind dreihundertfünfzig Männer«, fährt er fort, nachdem Melchorejo zitternd und stotternd übersetzt hat, »und noch einmal so viele Männer sind bei unseren Schiffen an der Küste.«
Er macht einen Schritt auf den grauhaarigen Indianer zu und der zieht drohend die Augenbrauen zusammen. »Du scheinst das Geheimnis zu kennen«, spricht Cortés weiter, »wie ich alle diese Kämpfer mit einem Dutzend Truthahnrationen sättigen kann. Also lass mich an deinem Wissen teilhaben, Herrscher von Potonchan! Oder aber, falls du dieses Wunder nicht zu wirken vermagst, befiehl deinen Leuten, mehr Nahrung herbeizuschaffen. Viel mehr«, fügt er hinzu. »Sehr viel mehr, Herrscher von Potonchan – so viel, dass alle meine Männer ihren Hunger stillen können. Wir werden euch gut dafür bezahlen, und danach werden wir weiterfahren, das verspreche ich dir. Aber bevor du uns diese Bitte erfüllt hast, können wir auf keinen Fall auf unsere Schiffe zurückkehren.«
Melchorejo windet sich wie eine Schlange. Ich halte ihn an den Handgelenken fest und rede flüsternd auf ihn ein. »Kann nicht … kann nicht«, sträubt sich unser Dolmetscher und schielt gleichzeitig zu dem grauhaarigen Indianer und zu Cortés. »Wenn ich das sage – er reißt uns allen das Herz heraus!«
»Raus damit, Stinkfisch!«, zischt ihm Portocarrero zu.
Natürlich meint der »Dröhnende« nur, dass er endlich mit der Übersetzung herausrücken soll. Aber Melchorejo heult auf und krümmt sich zusammen, als sollte ihm wahrhaftig das Herz herausgerissen werden.
Mit hängendem Kopf beginnt er, auf Chontal zu wiederholen, was Cortés eben gesagt hat. Mit jedem Wort wird die Stimmung bei den Indianern noch feindseliger. Als Melchorejo
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