Goldfieber
noch vor mir bereit zum Abmarsch.
Mit dreihundertfünfzig Mann in voller Rüstung samt Schilden und Schwertern marschieren wir die Allee mit den steinernen Baumskulpturen entlang. Es sind gleichmäßig geformte Steinsäulen, fast sechs Fuß hoch und von oben bis unten mit Fratzen und Bildzeichen bedeckt. Doch obwohl mein Kopf vor Müdigkeit dröhnt, erkenne ich, dass Sandoval ganz offensichtlich recht hat: Diese Allee, der ganze weite Platz und sicher auch die riesenhafte Stadt dahinter sind kein Trugbild, das uns durch irgendeinen Teufelszauber vorgegaukelt wird.
Das alles hier ist von indianischen Steinmetzen und Bildhauern mit einer Kunstfertigkeit erbaut worden, die ich bewundern muss, ob ich will oder nicht. Ein Wall von wenigstens neun Fuß Höhe grenzt die Stadt von dem gewaltigen Vorplatz ab, in regelmäßigen Abständen von Türmen unterbrochen. Die Allee läuft auf den mächtigsten dieser Türme zu, doch das Tor an ihrem Ende ist ebenso wie alle anderen geschlossen. Auch in den schmalen Fensterluken weiter oben in der Mauer ist kein Gesicht und auch kein Blasrohr oder Bogen mit eingelegtem Pfeil zu sehen. Hinter dem Wall erheben sich gewaltige Pyramiden, weitere Türme, unzählige Ziegelbauten und Säulenhallen von solcher Ausdehnung, wie es sie wahrscheinlich in ganz Spanien nicht zu sehen gibt.
»Und sie sind doch abgehauen«, flüstert Diego neben mir, »jede Wette!«
Tatsächlich ist aus dem Innern der Stadtmauern kein Laut mehr zu hören. Weder Trommeln noch Flötentriller. Allerdings dröhnen und rasseln unsere Männer mit ihren Rüstungen ohrenbetäubend.
Ich schüttele den Kopf in Diegos Richtung. Der »Tollkühne« hat recht, denke ich wieder – die Maya von Potonchan waren imstande, diese Ehrfurcht gebietende Stadt zu errichten, und ihr Herrscher gebietet über zehn- oder zwanzigmal mehr Bewaffnete als wir. Warum sollten er und seine Männer vor ein paar Hundert fremden Kämpfern fliehen?
Doch damit bin ich auch gleich wieder bei der Frage, die mich noch viel stärker beunruhigt. Woher haben diese Indianer überhaupt die Fähigkeit, Städte und Statuen zu errichten, die sich mit spanischen Bau- und Kunstwerken messen können – obwohl sie doch falsche Götzen anbeten, hinter denen sich bloß der Teufel verbirgt? An diesem Rätsel grübele ich noch herum, als unser Zug ein paar Dutzend Schritte vor dem Stadttor zum Stehen kommt.
Diego und ich marschieren unmittelbar hinter Cortés, an dessen linker Seite Portocarrero dahinstampft. Auch der »Dröhnende« hat seine Rüstung angelegt, doch unser Herr trägt wie üblich seinen Samtumhang und den federgeschmückten Hut. Die Goldfäden in seinen Strümpfen und die goldenen Quasten an seinem Überwurf funkeln in der Morgensonne. Vor Cortés und Portocarrero befindet sich nur noch unser Fahnenträger, der die spanische Flagge an ihrem Messingstab in den grauen Morgenhimmel emporreckt.
Ich beuge mich ein wenig nach rechts, um an Cortés vorbeizuspähen. Und da wird mir klar, warum unsere Kolonne plötzlich stehen geblieben ist.
Das zweif lügelige schwarze Holztor am Ende der Allee schwingt gerade eben mit leisem Knarren auf. Eine unabsehbare Schar bewaffneter Krieger strömt auf den Platz heraus – es müssen Hunderte sein! Sie tragen kunstvollen Federschmuck auf den Köpfen und ihre Gesichter und Oberkörper sind in kräftigen Farben bemalt. Sie halten Knüppel mit steinernen Klingen in den Händen oder wuchtige Streitäxte, deren Köpfe tatsächlich golden funkeln.
Aber goldene Äxte, denke ich, das ergibt doch keinen Sinn? Jeder weiß doch, dass Gold nicht nur kostbarer ist als jedes andere Metall, sondern auch viel weicher als Eisen oder sogar als viele Steinsorten.
Doch ich komme nicht dazu, darüber nachzudenken. Immer noch eilen Scharen bemalter und bewaffneter Krieger ausdem Torturm, und jetzt sehe ich auch, dass die Fensterluken in der Mauer mit Bewaffneten besetzt sind. Mittlerweile müssen es weit mehr als Tausend Krieger sein, die zu uns auf den Platz herausgekommen sind. Sie machen keine Anstalten, uns zu umzingeln oder anzugreifen, aber sie schauen grimmig und abweisend. Einige von ihnen halten Speere in der Hand, die so dick wie junge Baumstämme sind. Anderen baumeln bemalte und mit Schnitzereien verzierte Blasrohre vor der Brust.
Als Letzter tritt ein kostbar gekleideter Indianer mit langen grauen Haaren aus dem Tor, begleitet von sechs jungen Männern, die jeder einen Flechtkorb auf dem Rücken tragen. Auf dem Kopf des
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